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Worberin Danièle Baumgartner: Tanzend ins Flüchtlingslager

Die Worberin Danièle Baumgartner reist an Auffahrt nach Idomeni an der griechisch-mazedonischen Grenze und will dort mit Flüchlingsfrauen tanzen. Im Interview erklärt sie ihre Gründe und was sie sonst noch vor hat.

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Danièle Baumgartner vor ihrer abreise mit Res Reinhard im Café Chat BERN-OST.(Bild: Karin Frey)
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Das Resultat eines Facebook-Aufrufs von Danièle Baumgartner: 506 Sonnenhüte. (Bild: Facebook.com)
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"Ich stecke mitten in den Vorbereitungen", schreibt Danièle Baumgartner in einem Mail an BERN-OST. "Ich rolle Sonnenhüte klein zusammen, damit noch mehr in den Koffer passen. Über 10'000 Menschen, davon mindestens 5000 Kinder, leben zur Zeit in Idomeni, an der griechischen Grenze zu Mazedonien. In Zelten. Z.T. sieben Personen in einem Dreier-Iglu-Zelt. Vor ein paar Wochen regnete es unaufhörlich und die Menschen versanken im Schlamm. Jetzt wird es heiss. Wie unaushaltbar heiss es in einem Zelt werden kann, weiss ich aus Campingurlauben. Nur eben: Ich war im Urlaub, freiwillig, und konnte mich mit einer Dusche oder einem Sprung in den Pool abkühlen. Das können die Menschen in Idomeni nicht.

Am liebsten würden sie nach Hause. Das können sie nicht, weil Krieg herrscht. Weiter können Sie auch nicht, weil die Grenzen zu sind. Bleibt noch ein offizielles Lager. Doch dort, so berichten Flüchtlinge die aus diesen Lagern zurück nach Idomeni geflüchtet sind, sind die Zustände noch schrecklicher. So sitze ich vor meinem Koffer, halb gefüllt mit Sonnenhüten - aktuell sind es 150 Stück - und denke, dass dieser Koffer ein wahrer Tropfen auf den heissen Stein ist. Ich rolle den nächsten Hut zusammen. Ein rosarotes Baby-Hütlein mit gelben Blumen."

Danièle Baumgartner, du reist demnächst nach Griechenland in ein Flüchtlingscamp. Was hast du dort vor?

Tanzen. Ich möchte mit den Frauen dort tanzen, um ihnen ein paar fröhliche Stunden zu schenken. Ziel ist es auch, einen Bereich zu schaffen, in dem sich die Frauen unter sich treffen können.

Wieso findest du das wichtig?

Männer mögen Männerrunden, zum Beispiel am Stammtisch - Frauen mögen Frauenrunden, zum Beispiel beim Kafichränzli. Menschen versammeln sich seit jeher zu verschiedenen Gelegenheiten geschlechtergetrennt. In den Flüchtlingscamps ist Privatsphäre praktisch inexistent. Mit einem Frauenbereich erhoffe ich mir, zumindest den Frauen eine stärkende Rückzugsmöglichkeit zu bieten.

Und wieso tanzen?

Weil ich Tanzlehrerin für Orientalischen Tanz bin, dem Tanz aus der Heimat der geflüchteten Frauen. Über das Tanzen findet man schnell Zugang zueinander. Man versteht sich wortlos. Diese Erfahrung durfte ich bereits hier in meinem Tanzstudio in Worb machen, während den wöchentlichen Tanzstunden mit den Frauen aus dem Durchgangszentrum. Tanz verbindet auf zauberhafte Weise.

Weshalb denkst du, dass es gerade dich als Bern-Ost-Frau in Griechenland braucht?

Weil es eben einfach alle braucht. Jeder und Jede muss jetzt dringend nach seinen Möglichkeiten aktiv werden. Ich stelle immer wieder fest, dass die Leute noch nicht realisiert haben, was gerade in Europa passiert: Zum einen wissen viele nicht, dass die Flüchtlingshilfe praktisch ausschliesslich von privaten Organisationen, die eilendst und speziell für diese Katastrophe ins Leben gerufen wurden, gewährleistet wird. Weder staatliche Hilfsorganisationen noch grosse, anerkannte NGO’s helfen z.B. in Lesbos, wo an Spitzentagen über 5000 Menschen in Gummibooten von der Türkei auf der griechischen Insel ankamen. Es sind private Helfer, die den Menschen Nahrung, trockene Kleider und erste Hilfe anbieten. Zum anderen geht es schon lange nicht mehr „nur“ um die „armen Flüchtlinge“. In Europa werden Menschenrechte verletzt. Aus einem schrecklichen Krieg geflüchteten Menschen wird die Hilfe von offizieller Seite her verweigert. Es gibt Konzentrationslager, in denen die Flüchtenden interniert werden! Lager, in denen Reporter keinen Zutritt haben. Unschuldige Kinder werden mit Tränengas beschossen, Griechenland wird zusätzlich zur Wirtschaftskrise aufs brutalste gebeutelt…. Das sind Fakten, die bei allen ganz laut die Alarmglocke klingeln lassen sollten.


Du sagst „jeder soll nach seinen Möglichkeiten aktiv werden“. Kannst du Beispiele nennen?

Das Wichtigste ist, sich zu informieren. Nicht nur in der Tageschau, sondern eher auf den vielen Internetplattformen der Volunteers, der freiwilligen, privaten Helfer. Denn diese berichten unverfälscht und direkt von ihren Erlebnissen vor Ort. Dann unbedingt das eigene Umfeld informieren. Sprecht miteinander, tauscht euch aus. Enorm wichtig sind auch Geldspenden. Denn nur durch Spenden können die privaten Helfer den Flüchtlingen in den Camps Nahrung kaufen. Auch Sachspenden sind wichtig. Schuhe zum Beispiel. Wer findet, dass dies alles Aufgabe der Regierung wären, der kann und soll doch bitte die Politiker anschreiben. Wenn das möglichst viele machen würden, so würde sich dort vielleicht auch eine Verbesserung einstellen.


Du reist ja mit der privaten Organisation schwizerchrüz.ch von Michael Räber aus Münsingen. Warum gerade diese Organisation?

Ich kenne Michael Räber und seine Familie persönlich und lege die Hand ins Feuer, dass jeder gespendete Rappen genau dort hinfliesst, wo er hingehört. Nämlich in die Direkthilfe. Schwizerchrüz.ch hat von Anfang an in dieser humanitären Katastrophe Lücken gefüllt. Fehlt es an Schuhen, organisieren sie Schuhe. Fehlt es an Brennholz, liefern sie Brennholz. Fehlt es an Wasser, so verteilten sie in der Nacht Wasser in jedes Zelt. Zudem widmen sie sich auch sehr menschlich den Einzelschicksalen: Eine kaputte Brille wird ersetzt. Ein Telefonat mit dem 13-jährigen Sohn, der bereits in Deutschland ist, wird der Mutter ermöglicht… Schwizerchrüz.ch arbeitet für Menschen, nicht für den abstrakten Begriff „Flüchtlinge“.


Du hast jetzt einige Notlagen angesprochen. Der fehlende Tanz oder die fehlende Rückzugsmöglichkeit für Frauen ist doch keine Notlage?

Das ist so. Der fehlende Tanz ist keine lebensbedrohliche Notlage. Aber ich habe auch gesagt, dass jeder in seinen Möglichkeiten helfen muss. Ich weiss von mir, dass ich es emotional nicht verkraften würde, kleine Kinder aus dem Meer zu fischen. Die Teams, welche sich um die Grundversorgung der Flüchtenden kümmern, sind mittlerweile recht gut organisiert, so dass aktuell keinem Flüchtling der Hungertod droht. Somit, denke ich, ist es nicht verkehrt, wenn man versucht, nebst dem leiblichen Wohl auch an das seelische Wohl der Menschen zu denken. Tanz verbindet. Wenn ich vor einem solch schrecklichen Krieg geflüchtet wäre, um dann in einem menschenunwürdigen Camp oder Lager meiner letzten Hoffnungen beraubt würde, so würde sich bei mir wohl sehr schnell Wut und Hass einstellen. Jeder Frau, mit der ich mich tanzend „verbinden“ kann, kann ich zeigen: Nicht ganz Europa ist hassenswert. Vielleicht wird es sich dann aber auch zeigen, dass das gar nicht nötig ist.. Dann werde ich vielleicht bei der Wasserverteilung mithelfen. Und einen Koffer voller Sonnenhüte habe ich ja auch dabei.

[i] Danièle Baumgartner lebt mit ihren Kindern in Worb und führt das Tanzstudio Layuna, ebenfalls in Worb. Auf BERN-OST wird sie nach ihrer Rückkehr über ihre Erlebnisse berichten.


Autor:in
pd/abu, info@bern-ost.ch
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Erstellt: 05.05.2016
Geändert: 05.05.2016
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