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Traurige Mütter und plappernde Kinder im Flüchtlingscamp: Worberin Danièle Baumgartner ist zurück aus Griechenland

Danièle Baumgartner fuhr über Auffahrt nach Griechenland um mit Flüchtlingsfrauen zu tanzen. Für BERN-OST hat sie einen Bericht verfasst, in dem sie über die berührendsten Momente ihres Einsatzes im Flüchtlingscamp schreibt.

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Danièle Baumgartner im Frauencontainer mit dem kleinen Omar. Omar wurde auf der Flucht, auf türkischem Boden, ohne ärztliche Betreuung geboren. (Bilder: zvg)
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Danièle Baumgartner inmitten von liegengebliebenen Schwimmwesten auf der Insel Lesbos. In der Hand hat sie eine Baby-Schwimmweste.
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Ein Bild des Containercamps.
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Ich bin zurück aus Griechenland. Zumindest physisch. Meine Gedanken sind noch immer in Kara Tepe, dem Flüchtlingscamp in dem über 1000 Menschen leben. Unglaublich viele Kinder. Gibt es Worte um mein Erlebtes zu beschreiben? Eigentlich nicht.

Trotzdem versuche ich meine Eindrücke zu schildern, denn ich bin es meinen neuen syrischen Freunden schuldig, dass über sie gesprochen wird.

Zum Beispiel über Hudda, eine siebzigjährige Frau mit warmen Augen, welche mir unter Tränen die Bilder ihres zerbombten Hauses in Aleppo (Syrien) gezeigt hat. Die mir von ihren verlorenen Söhnen und Grosskindern erzählte und die mich dann getröstet hat, als ich ab ihren Schilderungen weinen musste. Man stelle sich vor: Ich werde von einer Frau, die Krieg und Flucht erlebte, getröstet.


Die Geschichten zahlreicher Mamas, welche ihre Kinder nicht bei sich haben und nicht wissen, ob und wann sie sie wieder in die Arme schliessen können, trafen mich als Mutter am meisten. In diesen Schicksalen offenbart sich für mich das Ausmass von Europas Versagen von seiner schmerzlichsten Seite.

Hassana vermisst ihre Kinder

Hassana erzählte mir, weshalb ihre Kinder in Deutschland und nicht bei ihr in Kara Tepe sind: Sie hatte nicht genügend Geld, damit die ganze Familie gleichzeitig hätte losziehen können. Schlepper sind unheimlich teuer. Also zogen erst die Kinder mit der Grossmutter los, um sich in Sicherheit zu bringen. Sie haben es rechtzeitig nach Deutschland geschafft. Die Mutter nicht. Die Grenzen sind zu.

Eigentlich hätte Hassana einen Rechtsanspruch auf die Familienzusammenführung. Doch kann sie diesen Anspruch nicht einlösen, weil ihr unüberwindbare bürokratische Hürden in den Weg gelegt werden. Sie müsste nach Beirut, um ein Visum zu beantragen. Die Wartezeit beträgt dort bis zu 14 Monaten. Aber das spielt für sie keine Rolle. Ihr fehlt das Geld sowieso für diese Reise. Nun harrt sie in Griechenland aus. Wie lange? Monate? Wohl eher Jahre. Sie vermisst ihre Kinder schmerzlich.

Die Luxusvariante eines Flüchtlingscamps


Aber jetzt mal der Reihe nach: Ich bin, anders als ursprünglich geplant, nach Lesbos und nicht nach Idomeni geflogen, um schutzsuchenden Frauen mit Tanz und Hennamalerei ein paar fröhliche Momente zu schenken. In Kara Tepe erlebte ich quasi die Luxusvariante eines Flüchtlingcamps. Im Vergleich zu Idomeni, Moria, Piräus und allen anderen ist Kara Tepe das Lager mit relativ guter Infrastruktur. Zudem können die Menschen dort frei ein- und ausgehen und sind nicht interniert, wie das in einigen Militärcamps der Fall ist.


Auch gibt es im Camp bereits eine "Frauenfreundliche Zone", eingerichtet von Actionaid, einer griechischen Organisation. Diese Zone konnte ich für meine Aktivitäten nutzen. Meinen Tanz, das Hennamalen und die Gespräche habe ich aber bereits am zweiten Tag ins Camp hinausgetragen, weil die Frauenzone auch zum Stillen der Babies genutzt wird. Ich agierte also vor den Hütten und in den Hütten. Wo und in welchen Camps nch Bedarf an Frauenzonen ist, bin ich am herausfinden.

"Hello my Friend"

Im Lager wurde ich allseits herzlich begrüsst und aufgenommen. Da über Tausend Menschen da wohnen, fand bei jedem zweiten Schritt eine solch herzliche Begrüssung statt. „Hello, my friend“… Ich war sehr berührt, von dieser Herzlichkeit und Gastfreundschaft. Schnell stellte sich heraus, dass das Tanzen und das Hennamalen nur den einen Teil meines Wirkens vor Ort darstellte. Die Menschen hatten grösstes Bedürfnis ihre Geschichten zu erzählen. Von ihrer Heimat, von ihren Beweggründen diese zu verlassen, von ihrer Flucht, von ihrem Leben als vergessener Mensch in Kara Tepe.


In den Containern ist es heiss


Die Leute leben in Containern. Je Familie einer von ca. 6 m2. Es war bereits jetzt im Mai unerträglich heiss. Während eines "Hausbesuchs" hielt ich ein Baby, nur wenige Wochen alt, in den Armen. Es glühte wie im Fieber. Ich mache mir Sorgen um die Kleinen, wie sie die Sommerhitze in diesen Containern überstehen sollen. Die gestaute Hitze darin ähnelt der Hitze, die sich in einem Auto entwickelt. Hunde soll man ja nicht im Auto lassen, heisst es. Und Babies in Containern?

Sonnenhüte, ja die habe ich abgegeben. Nur spenden die den Kindern höchstens draussen vor der direkten Sonne minimalen Schutz. Drinnen, in den Containern, bleibt es heiss. Die Zelte der anderen Camps schliesse ich in diese Sorge mit ein!


Obwohl Kara Tepe zu den bestversorgten Lagern von ganz Griechenland gehört, begegneten mir viele Lücken in der Versorgung. Wie im Interview beschrieben, füllt Michael Räber von schwizerchrüz.ch seit Ende August 2015 Lücken in dieser humanitären Katastrophe. Von dieser Arbeit und wie unglaublich effizient Michael sie meistert, habe ich mich in Lesbos selber überzeugen können. Swisscross füllt Lücken, welche den Menschen ein Stück ihrer Würde zurückgeben und Lücken die das nackte Überleben sichern, gleichermassen.

"Ich träume von Tomaten"


Diese unermüdliche und heldenhafte Arbeit, kostet die private Organisation schwizerchrüz.ch natürlich enorm viel Geld. Wenn ich an dieser Stelle also einen Aufruf zur Unterstützung von schwizerchrüz.ch mache, dann ist dies nicht verkehrt. „I dream of tomatos“, das hörte ich in Kara Tepe oft. Michael Räber hat Tomaten organisiert. zehn Wochen lang, zwei Tomaten pro Woche für jeden Bewohner Kara Tepes.

 

Hassana kann dadurch ihre Kinder nicht wiedersehen, aber nach so vielen Monaten endlich wieder eine Tomate essen zu dürfen ist vielleicht ein mikroskopisch winzigkleiner Trost. Vielleicht.

Mit Stroh gefüllte Schwimmwesten

Auf dem Schwimmwestenfriedhof ist mir das Ausmass dieser elendiglichen Katastrophe durch Mark und Bein. Da stand ich nun inmitten zweier immenser Berge von Schwimmwesten. Über 300'000, davon viele die mit Stroh oder anderem perversem Material gefüllt. Im Falle eines Über-Bord-Gehens, wäre der Mensch unter Wasser gezogen worden. Die Babyschwimmweste, die ich in den Händen halte, würde auch im Freibad nicht retten- wie also auf dem Meer?

Viele fragten mich nach meiner Rückkehr, wie ich das alles verdauen kann. Ganz ehrlich: Am meisten zu schaffen macht mir im Moment nicht das, was ich erlebt habe, sondern das Desinteresse der Europäer gegenüber diesen Menschen. Wieso schauen so viele weg? Weil man es nicht erträgt, ein Bild der Realität anzuschauen? Weil man sich hilflos fühlt? Dagegen gibt es ein einfaches Rezept: Hinschauen! Und man wird feststellen, dass man nicht alleine ist. Es gibt viele, denen man sich anschliessen kann, um gemeinsam etwas zu einer Verbesserung beizutragen.

Eine plappernde Kinderschar im Flüchtlingscamp

Die Hetzerei macht mir nebst dem Desinteresse ebenfalls sehr zu schaffen. Wenn zum Beispiel immer wieder behauptet wird, es seien nur junge Männer die aus wirtschaftlichen Gründen fliehen, könnte ich schreien. Die plappernde Kinderschar, welche mich jeweils umringte, wenn ich Hennaherzchen auf Patschhände malte, fühle ich noch immer sehr präsent.

In Mitten all dieser Schwimmwesten, bei jeder Umarmung mit einem Überlebenden und bei jeder mir anvertrauten Geschichte habe ich mir geschworen nicht zu ruhen, bis diese Menschen von Europa so behandelt werden, wie es jeder Mensch verdient: Nämlich gut! In Würde und unter Einhaltung der Menschenrechte. Alleine kann ich meinen Schwur natürlich nicht realisieren. Deshalb bin ich so dankbar, dass ich mich schwizerchrüz.ch habe anschliessen dürfen. Und deshalb bin ich so dankbar, dass ich bereits ein paar Menschen erreicht habe, welche sich ebenfalls an dem gemeinsamen Aktivismus beteiligen.

Alleine kann man die Welt nicht retten. Gemeinsam schon.

[i] Wer nähere Informationen dazu möchte, was man zu einer Verbesserung der Lage beitragen kann, darf sich gerne bei mir melden. Weiter male ich nun auch hier Hennatatoos für ein paar freiwillige Franken, zum Beispiel am kommenden Bären-Markt in Worb (Freitag ab 17 Uhr). Der Erlös geht an schwizerchrüz.ch und an mein Flugticket. Ich fliege am 7. Juli wieder nach Lesbos - zurück zu meinen Freunden in Kara Tepe. Ich habe es ihnen versprochen.

[i] Danièle Baumgartner ist auf Facebook. Ihre Mail-Adresse ist auf der BERN-OST-Redaktion erhältlich.


[i] Siehe auch News-Bericht "Worberin Danièle Baumgartner: Tanzend ins Flüchtlingslager" vom 5.5.2016

Autor:in
Danièle Baumgartner
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Erstellt: 05.06.2016
Geändert: 05.06.2016
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