• Region

Alterswohn- und Pflegeheim Rüttihubelbad: «Lachen öffnet Türen»

Seit Anfang Juli ist Silvia Anneler aus Wikartswil die neue Leiterin im Alterswohn- und Pflegeheim Rüttihubelbad. Wir wollten von ihr wissen, wie sie dieses erste Halbjahr erlebt hat, was ihr besonders gefällt an ihrer Stelle und was ihr als Leiterin wichtig ist. Sie erzählt auch, was ihr einen Ausgleich bietet, damit sie sich von ihrer verantwortungsvollen Aufgabe erholen kann. 

Silvia Anneler, seit Juli Leiterin des Alterswohn- und Pflegeheims Rüttihubelbad, erzählt, wie vielseitig ihre Arbeit ist. (Bild: zvg)

Über den grünen Hügeln liegt ein leichter Nebel, hübsch in die Landschaft eingebettet liegt das Alterswohn- und Pflegeheim Rüttihubelbad. Im «Rüttihubu», wie das Heim liebevoll genannt wird, leben rund 80 Menschen mit den unterschiedlichsten Bedürfnissen an Pflege und Betreuung.

 

Anfang Juli hat Silvia Anneler die Leitung übernommen. Die ausgebildete Pflegefachfrau war vorher schon Pflegedienstleiterin, sie ist spezialisiert auf das Fachgebiet Gerontopsychiatrie und Demenz. Ausserdem ist die 48-Jährige auch Mutter und Teilzeit-Bäuerin, sie lebt mit ihrer Familie in Wikartswil in der Gemeinde Walkringen. Wir wollten von ihr wissen, wie ihr die neue Position gefällt und was für sie das Rüttihubelbad besonders macht.

 

BERN-OST: Frau Anneler, wie haben Sie Ihr erstes halbes Jahr als Leiterin des Alters- und Pflegewohnheims erlebt?

Silvia Anneler: Dieses erste halbe Jahr war spannend und in einer guten Art herausfordernd: Ich lerne meine neue Funktion immer besser kennen und freue mich sehr über die neuen Themen. Zum Beispiel die ganzen Gesetze und Vorschriften, die man für eine Heimleitung kennen muss, aber auch Fragen rund um Finanzen und Wirtschaft. Ich geniesse es, dass ich selbst entscheiden und die Fäden in den Fingern halten kann – ich führe gern. Schön ist auch, dass ich kreativ die Werte umsetzen kann, die mir wichtig sind. Und ich gebe gerne meine Begeisterung weiter, sowohl an Bewohnende, Mitarbeitende und Angehörige. Zusammenfassend: Meine Arbeit macht mir grosse Freude.

 

Sie betreuen rund 80 Menschen: Was benötigen diese von Ihnen und Ihrem Team?

Bei uns leben Menschen mit den unterschiedlichsten Bedürfnissen an Pflege und Betreuung. Oft kommen sie direkt aus dem Spital zu uns, oder aber von ihrem Zuhause, wo sie nicht mehr allein wohnen können. Einige treten definitiv ein, machen einen Ferienaufenthalt oder kommen nur als Übergang zu uns, bevor sie wieder nach Hause gehen können, aber sie alle haben ganz unterschiedliche Wünsche und Bedürfnisse.

 

Welche Bedürfnisse sind das beispielsweise?

Die einen benötigen spezialisierte Behandlungspflege, andere wiederum Unterstützung bei der Tagesstruktur oder Begleitung während der letzten Tage und Stunden ihres Lebens. Zudem spielen Bewegung, Aktivität, Kunst, Unterhaltung, Kultur und Gesellschaft eine grosse Rolle: Unsere Bewohnenden sind gerne noch aktiv, wenn es ihre Gesundheit zulässt. Eine unserer Aufgaben ist, sie darin zu unterstützen. Da wir in unserem Alterswohn-  und Pflegeheim grosses Fachwissen vereint haben, sind wir in der Lage, auch komplexe Pflegesituationen zu meistern.

 

Sie haben sich auf Gerontopsychiatrie und Demenz spezialisiert: Was gefällt Ihnen besonders an diesem Fachgebiet?

Nun, ich mag Menschen und ihre Geschichten, bin kommunikativ und lebhaft. In den letzten Jahren ist die Zahl der an Demenz erkrankten Menschen immer mehr gestiegen, und ich habe früh erkannt, dass die Kommunikation ein tragendes Element im Umgang mit dieser Krankheit ist. Es ist die Fähigkeit, Menschen da abzuholen, wo sie sich emotional gerade befinden, sich auf sie einzulassen und einen Zugang zu schaffen. Ich trage zum Beispiel immer Röcke, und damit komme ich sehr schnell in Kontakt mit den Leuten: Ich kann damit Tanzschritte machen und jemanden damit streifen und so schnell in ein Gespräch kommen. Einmal ist eine Katze unter meinen Rock gehuscht, da mussten alle lachen – und Lachen öffnet sehr schnell Türen.

 

Oft kommen im Umgang mit Menschen mit Demenz auch Medikamente zum Einsatz...

Es sind nicht in erster Linie Medikamente, die das Leiden lindern, sondern Menschen, die sich empathisch auf die Betroffenen einlassen. Und die vor allem wissen, was diese Krankheit bedeutet. Die Demenz ist ein Teil der Gerontopsychiatrie. Dazu gehören Depression, Delir, Sucht, Suizid und anderes – dies sind alles Diagnosen, bei denen die wertschätzende professionelle Kommunikation einen wesentlichen Teil der Pflege und Betreuung darstellt. Ich habe einen Hochschulabschluss in Demenzbetreuung, und dafür habe ich ein Fach besucht, das heisst «Plaudern».

 

Plaudern?

Ehrlich! Ich kann stundenlang plaudern, aber, das ist wichtig, ohne dabei jemals eine W-Frage zu stellen: So muss sich nie jemand auf Glatteis geführt fühlen oder schämen. Ausserdem achte ich darauf, nie etwas zu verneinen, was für Menschen mit Demenz gilt. Mit dieser Haltung möchte ich auch meine Mitarbeiter:innen anstecken und ihnen die Validation nahebringen. Das bedeutet, ich befinde für richtig, was die demenzkranke Person fühlt und empfindet, egal wie offensichtlich es nicht stimmt – beispielsweise wenn die Mutter schon längst gestorben ist und daher nicht in der Küche stehen kann.

 

Demenz und Depression im Alter sind ja heute grosse Themen.

Viele gesellschaftliche Themen spiegeln sich in den Ängsten und Sorgen unserer Bewohner:innen wieder: Einsamkeit, Armut, Sinnlosigkeit und das Gefühl, nicht mehr Teil einer Gesellschaft zu sein, nicht mehr dazu zu gehören. Die Gerontopsychiatrie als Zweig der Psychiatrie beschäftigt sich damit, psychischen Störungen im höheren Lebensalter vorzubeugen, aber auch, sie zu erkennen und zu behandeln. Weil die Menschen immer älter werden, steigt auch das Risiko einer psychischen Erkrankung.

 

Sie haben diese Themen auch bereits als Pflegedienstleiterin im Rüttihubelbad behandelt.

Ja, ich war ein Jahr lang Pflegedienstleiterin, vorher arbeitete ich im Seniorenzentrum Jurablick in Hindelbank. Da ich in Wikartswil wohne, habe ich immer mal wieder Ausschau nach einer freien Stelle als Pflegedienstleiterin im «Rüttihubu» gehalten. Irgendwann war es dann soweit, und ich habe mich beworben. Und schon bald ergab sich die Gelegenheit, die Leitung zu übernehmen.

 

Was gefällt Ihnen an der Aufgabe als Gesamtleiterin des Alters- und Pflegeheims?

Ganz besonders gefällt mir der Gestaltungsspielraum, es gibt so viele Entwicklungsmöglichkeiten und Potenzial. Als Leiterin ist es mir wichtig, Türen zu öffnen und Schranken abzubauen: Bei uns sind Menschen willkommen und Begegnungen eine Bereicherung. Bei all der Schwere, die Alter und Krankheit mit sich bringen können, ist daher bei uns eine Leichtigkeit spür- und erlebbar. Diese Atmosphäre kann ich als Leiterin mitprägen.

 

Was macht den anthroposophischen Ansatz aus, nach dem Sie die Menschen betreuen?

Bei der anthroposophischen Pflege, wenn diese denn gewünscht wird, geht es darum, das Seelisch-Geistige in die Pflege miteinzubeziehen, darum, den Menschen als Ganzes zu betrachten. Wir haben zwei Fachpersonen, die sich in anthroposophischer Pflege weitergebildet haben. Diese beiden Fachpersonen führen die anthroposophischen Anwendungen durch und geben ihr Wissen und Können an ihre Teamkolleg:innen weiter.

 

Sie sagen «wenn diese denn gewünscht wird»: Das heisst, bei Ihnen wohnen auch Menschen, die nicht direkt der Anthroposophie verbunden sind?

Im Alters- und Pflegeheim Rüttihubelbad leben Menschen mit unterschiedlichen Weltanschauungen, Bedürfnissen und Wünschen. Ob sich jemand mit der Anthroposophie auseinandersetzten möchte, diese seit jeher lebt oder kein Interesse daran hat, ist zweitrangig: Bei uns finden alle Platz. Ich selbst bin auch keine Anthroposophin, fühle mich aber den Werten der Menschlichkeit verpflichtet, die Rudolf Steiner vertreten hat.

 

Sie bieten dennoch spezielle Therapien an wie Heileurythmie, Feldenkrais oder anthroposophische therapeutische Sprachgestaltung: Was ist der Zweck all dieser verschiedenen Angebote?

Diese Angebote ermöglichen eine ganzheitliche Pflege unter Einbezug des Seelischen und Geistigen. Sie dienen dazu, Heilung zu fördern und Leiden zu lindern: Dafür muss nicht nur der Körper gepflegt werden, sondern auch das Herz.

 

Die private Silvia Anneler ist auch Mutter und Teilzeitbäuerin – hilft Ihnen das beim Abschalten?

Mutter zu sein und auf einem Bauernhof leben zu dürfen, ist wunderbar. Meine Patchwork-Familie gibt mir Halt und Sinnhaftigkeit. Gemeinsam mit meinem Partner unseren abwechslungsreichen Alltag jeden Tag neu gestalten zu können, erfüllt mich mit Zufriedenheit und Freude. Ich mag unsere Tiere, die Natur und die einzigartige Emmentaler Landschaft.

 

Würden Sie selbst im Alter im Rüttihubelbad wohnen wollen?

Selbstverständlich! Das Rüttihubelbad ist ein Ort der Begegnung und der gelebten Wertschätzung. Ich gehe fast jeden Sonntag mit meinem Partner im Sternen Walkringen einen Kaffee trinken. Sehe ich jemanden hinken, biete ich ihm oder ihr spontan ein Ferienbett an. Zuerst winken alle lachend ab, aber zwei Wochen später kommen viele trotzdem zu einem Testwohnen vorbei. Das freut mich enorm. Für die Einwohner:innen von Walkringen habe ich übrigens immer ein leeres Bett – immer, für Leute jeden Alters! Ich öffne ich gerne die Türen und bitte herein: Bei uns sind alle als Mensch willkommen.

 

[i] Ungezwungene Wohlfühloase

Das Rüttihubelbad, 1756 erbaut, wurde 1784 zum Heilbad umgebaut. Gemäss einer Schrift von 1899 herrschte auf dem Rüttihubel, im Gegensatz zu anderen, luxuriösen Badeorten «häusliche Behaglichkeit». Die Einrichtungen waren einfach, aber bequem, entsprachen ihrem Zweck und den hygienischen Ansprüchen. Das Landleben und der ungezwungene Umgangston wurden als angenehm empfunden. Die «erdig-salinische Eisenquelle von beachtlicher Heilkraft» half im Laufe der Jahrzehnte vielen Kurgästen.

Noch Mitte des 20. Jahrhunderts kehrten Gäste im Rüttihubelbad ein, um die üppige Bernerplatte mit der traditionellen «Merängge» zu geniessen. So erhielt die Anlage den Übernamen «Fressbedli». Doch dann wurde es langsam still im Rüttihubelbad. 1982 ging die Rüttihubelbad AG der Familie Schüpbach Konkurs.

Vier Jahre später erwarb die neu gegründete Stiftung Rüttihubelbad das Kurhaus und die dazugehörigen landwirtschaftlichen Liegenschaften. Ziel war es, ein gemeinnütziges Alters- und Pflegeheim auf anthroposophischer Grundlage zu errichten und zu betreiben. 1991 zogen die ersten Bewohner:innen in das sich noch im Bau befindliche Altersheim ein.

Über die Jahre entwickelte sich die Stiftung zu dem, was sie heute ist. Neben einem Alters- und Pflegeheim bietet es einige Alterswohnungen, eine sozialtherapeutische Gemeinschaft mit Arbeits- und Wohnplätzen für Menschen mit einer Beeinträchtigung; daneben ein Restaurant, Hotelzimmer und Raum für Kurse, kulturelle Anlässe und Ausstellungen. Das geplante Therapiebad wurde nie fertig ausgebaut, dafür befindet sich heute darin die Dauerausstellung «Sensorium», die sich um die Aktivierung der sinnlichen Wahrnehmung dreht.

 (Quelle: Rüttihubelbad: Wo einst die Landleute im "Fressbedli" zu Gast waren)


Autor:in
Claudia Weiss, info@bern-ost.ch
Nachricht an die Redaktion
Statistik

Erstellt: 21.11.2024
Geändert: 21.11.2024
Klicks heute:
Klicks total: