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Daniel Ott Fröhlicher: "Im Ausland wurde mir bewusst, wie schweizerisch ich bin"
Seit zwei Jahren ist Daniel Ott Fröhlicher (57) Rubigens Gemeindepräsident. Im Interview mit BERN-OST sagt er, wie ihn seine Auslanderfahrungen zum politischen Engagement in der Schweiz motivieren, was er durch die verlorene Obstgarten-Abstimmung gelernt hat und welche Musik ihn in die Mühle Hunziken lockt.
BERN-OST: Herr Ott Fröhlicher, Sie sind gebürtiger Basler. Seit 2008 leben Sie in Rubigen. Wie steht es bei Ihnen mit Heimatgefühlen?
Daniel Ott Fröhlicher: Ich bin und bleibe ein Heimwehbasler, bin jedoch sehr gut angekommen in Rubigen. Heimat ist da, wo man lebt und sich wohl fühlt. Ich habe gewisse Zeit im Ausland gelebt und mich da auch wohl gefühlt, aber ich bin in Basel aufgewachsen und habe immer noch Erinnerungen daran. Der Lebensmittelpunkt kann sich immer wieder ändern. Momentan ist er in Rubigen. Damit man sich daheim fühlt, muss man sich einbringen und seine Umwelt mitgestalten können.
Sie haben sieben Jahre in Bolivien gelebt, wo Sie in der Entwicklungszusammenarbeit tätig waren, bevor Sie nach Rubigen kamen. Seit da sind Sie Programmverantwortlicher bei Swissaid. Liest man Ihre Vorworte im Rubiger Kurier, fällt immer wieder auf, dass ihr Blick weiter reicht als bis zum Rand der eigenen Gemeinde. Wie beeinflusst Sie ihre berufliche Tätigkeit im Amt als Gemeindepräsident?
Sie motiviert mich. Es ist mir nie so bewusst geworden, wie schweizerisch ich bin, wie im Ausland. Die direkte Demokratie habe ich schätzen gelernt, indem ich gesehen habe, dass es in anderen Ländern nicht so ist. Deshalb wollte ich mich einsetzen, als ich zurückkam. Hier geht es uns sehr gut, darum sollte man etwas zurückgeben. Was wir an der Schweiz schätzen, ist nicht einfach da, sondern es haben sich Leute dafür eingesetzt. Und das muss jeden Tag gemacht werden. Gleichzeitig finde ich es inspirierend zu sehen, mit wie wenigen Dingen man glücklich sein und Zuversicht und Lebensfreude haben kann. Auch wenn man nicht die Sicherheit und den materiellen Wohlstand hat, den wir hier haben.
Seit 2020 sind Sie – zuerst ein Jahr ad interim, dann ordentlich gewählter – Gemeindepräsident von Rubigen. Was haben Sie bis jetzt erreicht?
Was mich sehr freut, ist die Ortsplanungsrevision. Sie ist noch nicht durch alle Ämter, aber wir haben die Abstimmung mit einer Dreiviertelmehrheit gewonnen. Wir haben es geschafft, den Jugendausschuss wieder zu einem aktiven Player zu machen. Für viele war es ein Highlight, dass wir den Dada-Club wiedereröffnen konnten. Dann die neue Überbauungsordnung Rütiweid mit Kiesabbau. Wir konnten die Leute überzeugen, dass es ein neues Gebiet für den Kiesabbau braucht. Wir haben es geschafft, einen gut funktionierenden Gemeinderat aufzubauen mit drei neuen Mitgliedern. Auch erreicht haben wir die 30er Zone im Dorf. Zudem konnten wir das Energieleitbild verabschieden und haben ein Alterskonzept, ein neues Design des Rubiger Kuriers und die neue E-Mitwirkungsplattform "Rubigen im Dialog" auf die Beine gestellt.
Was fällt Ihnen in Ihrem Amt leicht und was macht Ihnen Mühe?
Leicht fällt mir die Zusammenarbeit mit der Gemeinde und der Verwaltung. Ich habe tolle Leute überall. Die Sitzungen zu leiten, mich in Themen einzuarbeiten und das Vorwort des Kuriers zu schreiben, macht mir Spass, auch wenn letzteres manchmal eine Zangengeburt ist. Das abnehmende Interesse an der Politik macht mir Mühe. Wenn man an einer Gemeindeversammlung immer die gleichen 30, 40 Leute hat, fragt man sich: Nimmt man uns überhaupt wahr? Oder wenn man keine Leute findet. Ich wurde in stiller Wahl gewählt, aber mir wäre es lieber gewesen, wenn es noch andere Kandidat:innen gegeben hätte. Wir versuchen, unter anderem mit dem Krone-Projekt (BERN-OST berichtete), Politik wieder attraktiver und interessanter zu machen für die Leute. Zwar hat man auf Gemeindeebene nicht einen riesigen Handlungsspielraum, aber den sollte man nutzen. Mühe machen mir auch die übergeordneten Ämter und all die bürokratischen Prozesse. Es geht schon alles sehr lange.
Haben Sie durch das Amt etwas gelernt, was für Sie komplett neu war? Wenn ja, was?
Das ganze Gemeindewesen, das Rechtliche, die Gemeindepolitik, das habe ich so vorher nicht gekannt. Auch, wie die ganzen Dienstleistungen in einer Gemeinde organisiert sind. Die politische Dynamik in einer Bevölkerung ist für mich ein "Lehrblätz", wie man kommuniziert, wie man mit politischen Anliegen Mehrheiten bekommt. Oder wie man damit Widerstand provozieren kann, und wie man damit umgeht und mit der Bevölkerung wieder in einen Dialog tritt und eine Lösung findet. Wie beim Obstgarten, als wir die Abstimmung verloren haben, weil wir zu wenig Feingefühl hatten für die Ängste und die Ablehnung im Dorf. Und ich habe gelernt, mit Medien umzugehen, Interviews zu geben.
Welche Probleme hat Rubigen derzeit?
Ganz konkret: Es hat keine Dorfbeiz mehr seit zwei Jahren und kein Dorfzentrum, was schon länger ein Thema ist. Man kämpft immer mit dem Bewahren der Läden und dagegen, dass Rubigen zu einem Schlafdorf wird. Die Vereine klagen über zu wenig Mitglieder. Sie sagen, sie machen jetzt dann dicht. Das ganze soziale Leben im Dorf ist im Umbruch. Es gibt aber immer Leute, die sich engagieren, zum Beispiel beim Dorfmärit. Es muss Räume geben, wo man sich trifft und welche Identifikation stiften mit dem Dorf. Das bedingt aber auch ein gewisses Wachstum an Bewohner:innen und eine Durchmischung. In wenigen Jahren wird über ein Drittel der Rubiger Bevölkerung über 65 sein. Das verändert das soziale Gefüge im Dorf.
Im Zusammenhang mit Rubigen hört man immer wieder das Wort "Schlafgemeinde". Können Sie den Vorwurf oder die Befürchtung gelten lassen?
Jetzt sicher noch nicht. Wir weigern uns völlig, das gelten zu lassen. Im Moment gibt es noch innovative Leute, alle Läden und die Schule. Aber wir können es noch optimieren. Es gibt auch die Mühle Hunziken, die in den letzten Jahren ausgebaut hat und näher zum Dorf gerückt ist mit dem Openair im Sommer. Es gibt auch noch einen Chor, die Musikgesellschaft, den Fussballverein, den Ortsverein, die Männerriege, den Rubiger Chor. Das sind auch Leute, die man dann an den Festen sieht. Am 1. August-Fest nehmen regelmässig 600 bis 700 Leute teil. Das ist kein Schlafdorf.
Sie selbst arbeiten in Bern, schlafen aber nicht nur in Rubigen, sondern engagieren sich hier in der Politik. Was halten Sie von Leuten, die sich nicht im Ort engagieren?
Ich will das nicht bewerten. Es kann verschiedene Gründe geben. Ich habe das Gefühl, sie verpassen wahrscheinlich etwas. Zu 99 Prozent würden sie profitieren und gute Erfahrungen machen können. Ich kann aber verstehen, dass Leute nicht die Kraft haben, sich zu engagieren oder ihren Lebensmittelpunkt anderswo haben. Man muss die Leute aber motivieren, sich einzubringen.
Wie kann man Ihrer Meinung nach die Leute dazu bringen, aktiv am Dorfleben teilzunehmen?
Attraktive Räume zu schaffen ist wichtig, etwa einen Dorfplatz oder Dorfmärit. Solche Räume bewirken, dass die Leute rauskommen und andere treffen, merken, dass das Dorf lebt, und es auch als Dorf wahrnehmen. Das motiviert sie, sich noch mehr daheim zu fühlen und sich zu engagieren. Die Vereine machen eine Riesenarbeit, indem sie den Leuten etwas anbieten, bei dem sie sich einbringen und gemeinsam mit anderen Leuten etwas machen können. Auch die Schule hat eine wichtige Funktion mit einem attraktiven Angebot ausserhalb der Unterrichtszeit. Ich finde es wichtig, den Spielplatz bei der Schule attraktiver zu gestalten und zu einem Begegnungsplatz für Jung und Alt zu machen. Die Leute konnten dazu auch Eingaben machen. Oder auch die Einweihung des neuen Tanklöschfahrzeugs: Das hat viele Leute angezogen, auch mit Kindern. Es war ein toller Anlass, der vielleicht den einen oder anderen motiviert hat, an einen nächsten Anlass oder in einen Verein zu gehen. Der Gemeinderat kann dazu beitragen, dass diese Räume bestehen bleiben, attraktiv werden und neue solche Räume entstehen können.
Die Gemeinde setzt mit der Plattform "Rubigen im Dialog" auf die elektronische Mitwirkung. Wie wirkt sich das auf die Beteiligung aus?
Wir haben noch nicht viel Erfahrung. Bei der Abstimmung Obstgarten ging der Schuss für uns eher nach hinten raus und es wurde auch eine Plattform für die Gegner der Vorlage. Ich finde aber, das gehört zur Demokratie. Die elektronische Mitwirkung ist für die Verwaltung einfach und das modernere Design motiviert vielleicht auch eine jüngere Generation von Leuten, die auf einen normalen, verschickten Fragebogen nicht reagieren würden. Wichtig ist mir auch eine gewisse Transparenz. Ein Amtsblättchen reicht da nicht. Eine Website und eine Plattform geben die Chance, dass die Leute in ihrer bevorzugten Form an Informationen kommen.
Vor Kurzem ist das Projekt zum Landgasthof Krone auf der Plattform aufgeschaltet worden. Welche Bedeutung hat es für Rubigen?
Das ist die Chance, aus einer blockierten Situation etwas Neues kreieren zu können. Ziel ist die Wiederbelebung der Krone, indem man neue Nutzungsformen findet, damit das grosse Gebäude eine Zentrumsfunktion wahrnehmen kann. Zum Beispiel einen Co-Working-Space oder eine Gemeinschaftspraxis. Hoffentlich ist so auch eine Dorfbeiz wieder möglich, wo sich die Vereine treffen können, man sein Geburtstagsfest feiern, Mittagessen oder abends etwas trinken gehen kann. Ein Ort, den man schätzt. Das Projekt soll zeigen, ob das nur noch das Bedürfnis einer Minderheit ist. So ein Ort kann die Attraktivität eines Dorfes sehr steigern und einen gewissen integrativen Charakter haben. An der Strasse spielt sich vieles vom Dorfleben ab: Es hat mehrere Läden und es ist die Durchgangsstrasse und somit das, was man von Rubigen sieht, wenn man durchfährt. Die Krone ist das Kennzeichen von Rubigen. Dass möglichst viele Leute vom Projekt profitieren können, wäre etwas Wichtiges für dieses Dorf. Mir gefällt an dem Projekt, dass wir die Leute fragen können. Es liegt nun an ihnen, sich auszudrücken.
Zurück zu Ihnen. Neben der Politik: Inwiefern nehmen Sie am Dorfleben teil?
Ich bin fast an jedem Märit, wenn ich kann. Ich bin zudem engagiert in der Männerriege, vorher war ich im Fussballclub Junior:innentrainer und kenne mittlerweile einige Leute im Dorf. Ich schätze es sehr, am Samstag in die Bibliothek zu gehen und auf dem Weg noch das eine oder andere Schwätzchen zu halten. Es gibt Routinen im Dorf, die ich sehr schätze, etwa beim Einkaufen. Das gibt einem ein Gefühl von Daheimsein. Ich bin auch engagiert im Quartier, in dem ich wohne. Wir haben versucht, einen Zusammenschluss für Solaranlagen für den Eigenverbrauch aufzubauen.
Ich bin aber immer noch ein Zugezogener. Ich habe mich schon ein paar Mal gefragt, warum ich als fremder "Fötzel" hier Gemeindepräsident sein soll. Manchmal habe ich das Gefühl, es wäre angebrachter, wenn die Einheimischen hier das Präsident:innenamt hätten. Dass von aussen frischer Wind kommt, hat sicher Vorteile. Aber im Gegensatz zu meinen Gemeinderatskollegen habe ich kein Netzwerk oder eine lange Geschichte im Dorf. Mir die ganzen Namen und Familienzusammenhänge zu merken, ist schwierig. Ich bin nicht hier aufgewachsen und kenne viele Dorfgeschichten nicht oder allenfalls vom Hörensagen. Für Einheimische ist das klarer.
Rubigen ist weit herum bekannt für sein Konzertlokal, die Mühle Hunziken. Sind Sie dort selber auch ab und zu im Publikum zu finden? Wenn ja, was hören Sie sich dabei gerne an?
Ich bin viel dort. Ich höre gerne Schweizer Bands, Mundart, World Music, Jazz, Blues und von Bolivien her alles, was lateinamerikanisch ist. Wenn Cuba Night ist, kann ich fast nicht widerstehen. Ich habe Rubigen eigentlich nur wegen der Mühle schon gekannt. Ich war vor 30 Jahren da an einem Konzert. Als ich hier auf ein Wohnangebot stiess, dachte ich: Ah, Rubigen, das sagt mir was.
Erstellt:
26.12.2022
Geändert: 28.12.2022
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