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Deisswil - Chronik zeigt Aufstieg und Fall der Kartonfabrik

Der Mechaniker Ulrich Joerg gründete vor 145 Jahren die Kartonfabrik Deisswil. Joerg war auch Gründer der Worblentalbahn, des Elektrizitätswerks Wegmühle und des Ziegelhüsis. Eine Chronik zeigt jetzt die Geschichte der Kartonfabrik auf.

Heinz Hofmann: "Um 1900 wurde der Karton mit Pferdekutschen zum Bahnhof Ostermundigen transportiert." (Bild: Rolf Blaser)
Deisswiler Chronik zur Kartonfabrik: Vom Aufstieg zum Grössenwahn, vom Absturz zur Auferstehung.

Ulrich Joerg hat die Kartonfabrik 1876 gegründet. Joerg war der Ur-Grossvater von Heinz Hofmann, der jetzt diese Deisswiler Chronik geschrieben hat. Gleich vorweg: Die Chronik ist kein dicker Wälzer. Es werden Anekdoten und Bilder zum Aufstieg und Fall der Kartonfabrik präsentiert. Die Geschichte beginnt eindrücklich und endet tragisch. Fast wie in Hollywood kommt am Ende noch ein Twist und führt zu einem Happy End. Das muss man erst mal schaffen.

 

Der Beginn

Ulrich Joerg war Mechaniker in der Papierfabrik Gruner in Worblaufen. Joerg hatte bereits in einer Kartonfabrik in Dresden gearbeitet. Mitte des 19. Jahrhunderts waren Papier und Karton das grosse Ding. Auf einem Spaziergang durchs Worblental kam ihm die Idee, eine eigene Papierfabrik zu gründen. Wasser und eine Fabrik waren schon vorhanden. Als die ehemalige Zündkapselfabrik zum Kauf ausgeschrieben war, schlug Joerg zu. Der Grundstein war gelegt.

 

Die ersten Jahre

Um genügend Strom für die Kartonfabrik zu kriegen, baute Joerg an der Wegmühle ein Elektrizitätswerk. Kaum war die Fabrik in Betrieb, forderte Joerg eine Bahn via Deisswil nach Worb. Obwohl bereits das blaue Bähnli nach Worb fuhr, überzeugte er den Grossrat eine Worblentalbahn zu finanzieren. 1911 wurde die Worblentalbahn im Ziegelhüsi gegründet. Schon früh sorgte Joerg für seine Angestellten. 1928 führte er eine Personalvorsorgekasse ein (rückwirkend ins Jahr 1923). Im Ziegelhüsi richtete Joerg eine Kantine für die Fabrikarbeiter ein.

 

Der Niedergang

In den 50er und 60er Jahren strebte die neue Leitung der Kartonfabrik eine Expansion an. Da die Fabrik in Deisswil hohe Gewinne abwarf, wollte man das vervielfachen. Das ging daneben. Die Kartonfabrik kaufte eine Fabrik in Tenero und eine in Niedergösgen. In beide Betriebe musste sie über 100 Millionen Franken einschiessen. Gleichzeitig überschwemmte China den europäischen Markt mit billigem Karton. In Deisswil wurde das Geld knapp. Man suchte nach Geldgebern und fand einen Investor aus Österreich. Das war der Anfang vom Ende.

 

Der Untergang

Es begann eine Zeit der Umstrukturierungen. Stellen wurden abgebaut, die Firmenstruktur wurde in ein kompliziertes Holding-Gebilde geändert. Am 8. April 2010 berief der Alleinaktionär aus Österreich eine Sondersitzung mit dem Verwaltungsrat ein. Als die Sitzung begann, erfuhren die Deisswiler Verwaltungsräte, dass nur ein Traktandum bestand: Die sofortige Schliessung der Kartonfabrik.

 

Ein Anwalt aus Zürich hatte alles vorbereitet. Eine halbe Stunde nach Sitzungsbeginn informierte der Konzern die Medien. Die Angestellten erfuhren von ihrer sofortigen Kündigung aus dem Radio. 253 Angestellte waren sprach- und arbeitslos.

 

Die Auferstehung

Zufällig sassen Heinz Hofmann (damals VR der Kartonfabrik) und Hans-Ulrich Müller (damals Credit Suisse) zusammen im Zug und sprachen über das Ende der Fabrik. Müller sagte zu Hofmann: "Wir müssen etwas tun." Bis spät in die Nacht schmiedeten sie Pläne, wie man den Tanker noch wenden könnte. Später kauften sie die Kartonfabrik von den Österreichern zurück, mit der Auflage, dass sie kein Karton mehr produzieren dürfen. Aus der Kartonfabrik entstand der Bernapark. Alle 253 Angestellten wurden weiterbeschäftigt. Die Geschichte geht weiter.

 

[i] Die Deisswiler Chronik kann zu Bürozeiten im Verwaltungsgebäude des Bernaparks bezogen werden. Bitte melden Sie sich vorgängig per Mail unter info@bernapark.ch.


Autor:in
Rolf Blaser, rolf.blaser@bern-ost.ch
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Erstellt: 14.11.2021
Geändert: 14.11.2021
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