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Der Muni in der Stammbeiz: Rubigen und seine legendäre Viehzuchtgeschichte

Über 100 Jahre prägte die Viehzuchtgenossenschaft Rubigen das Dorfleben – mit preisgekrönten Kühen, dramatischen Versammlungen, weinseligen Ausflügen und einem Muni im „Hüsi“. Dies ist eine Geschichte von früher zwischen Alltag und Anekdote.

Viehschau beim Schützenhaus Rubigen. (Foto Archiv VZG Rubigen)
Adolf und Vreni Burkhalter, jahrzehntelang im Zentrum der Genossenschaft: „Eine schöneZeit.“ (Foto: Martin Christen)
„Ergötzliche Historia, die im Aaretal geschah“: Mit dem berittenen Muni ‚Bruno“ im „Hüsi“ (Foto: Martin Christen)
Notizzettel aus dem Jahr 1908. Die Gründer der Viehzuchtgenossenschaft Rubigen. (Foto: MC)

Grundlagen dieses Artikels, der die sagenumwobene Geschichte der Viehzuchtgenossenschaft Rubigen erzählt: Die Protokolle und kiloschweren Zuchtbücher der Viehzuchtgenossenschaft, die in einer Harasse im Keller des Gemeindehauses Rubigen lagern, sowie die Erinnerungen von Zaunacker-Landwirt Adolf Burkhalter. Er war während 55 Jahren Sekretär, Zuchtbuchführer und Kassier der Genossenschaft.

 

Gründung im Wirtshaus: Die Anfänge der Genossenschaft

Auf einem handschriftlichen Notizzettel sind die zwölf Rubiger Landwirte aufgelistet, die am 20. Juni 1908 in der „Wirtschaft Rubigen“ die Viehzuchtgenossenschaft VZG Rubigen gründeten. Erste VZG-Präsidenten waren Johann Schneider, Grossrat, Kleinhöchstetten und Johann Rolli aus Rubigen.

 

In den Statuten wurde der Hauptzweck der Genossenschaft festgehalten: „die Förderung der Kuhrasse Simmentaler Fleckvieh.“ Was auch gelang, 1983 schwärmte die „Schweizer Bauernzeitung“ von der „Milchhochleistung der Rubiger Kühe“ und den „hervorragenden Organisationsleistungen der Viehhalter“.

 

Die Hochblüte – und das "skandalös tiefe Milchgeld"

Die Genossenschaft sorgte auch für gesellschaftlichen Kitt. Immer wieder wurden Familienreisen und Ausflüge organisiert, von denen die Genossenschafter noch heute gerne erzählen. 1955 führte die Reise nach Wien und war so weinselig, „dass einige Bauern abends ihr Zimmer nicht mehr auffinden konnten, oder nur auf allen Vieren“, wie sich der Mitreisende Adolf Burkhalter erinnert.

 

Wie andere Vereine blieb aber auch die VZG vor internem Streit und Krach nicht verschont. Praktisch Dauertraktanden an den Genossenschaftsversammlungen, die zumeist im „Hüsi“ Rubigen oder im „Pintli Beitywil“ stattfanden, waren der „skandalös tiefe Milchpreis“, der „Butterberg“, die Zuchtstiere und deren Sprunggeld.

 

Kollegialität, Krach und Munis

Die ZVG hatte einen bis fünf Munis, die gegen eine jährliche Bezahlung einem Genossenschaftsmitglied zur Fütterung anvertraut wurden. Die Munis hiessen Uno, Kuno, Lohnn, Apollo oder Georg.

 

Eine Zusammenstellung der Protokollauszüge würde eine überaus amüsante Rubiger Komödie ergeben. Ein paar Beispiele: Die Hauptversammlung anno 1944 im „Hüsi“ musste laut Protokoll zur Kenntnis nehmen: „Zuchtstier Georg wurde letzte Woche durch den Tierarzt auf Tuberkulose geimpft, nun hat er reagiert, bleibt nichts anderes übrig, als ihn als Schlachttier anzumelden.“

 

Die Hauptdarsteller: Lohnn, Eiger und Kuno

Im „Hüsi“-Versammlungs-Protokoll von 1956 heisst es: „Stier ‚Lohnn‘ ist nicht mehr voll sprungfähig. Es wird diskutiert, ob man den Stier schlachten oder noch behalten soll. Beschlossen wird, eine Zeitlang abzuwarten.“ Ein Jahr später schreibt der Sekretär: „Dem anwesenden Metzger Hodel wird der Stier ‚Eiger“ verkauft zum Preis von Fr. 260 netto.“ 1961 bereitet Stier „Kuno“ den Bauern Sorgen: „Er hat ein Geschwür zwischen den Klauen, sollte es schlimmer sein, geht die Meinung dahin, ihn abzustossen.“

 

Das Ende der Genossenschaft

Über die Jahre sank die Zahl der Genossenschaftsmitglieder. Bauernbetriebe wurden aufgegeben, aber erst im Mai 2009 wurde die Rubiger Viehzuchtgenossenschaft in den Fleckviehzuchtverein FZV Rubigen überführt, „vor allem, um die Mitglieder von der Solidarhaftung zu befreien“, sagt Adolf Burkhalter rückblickend. Vor der Auflösung des Viehzuchtvereins 2021 konnten laut Burkhalter nur noch zwei aktive Mitglieder gezählt werden.

 

Der Muni im „Hüsi“ – Rubigens skurrilste Nacht

Die saftigste Geschichte drehte sich um Muni Bruno.1955 wurde der Muni nach einem weinseligen Besuch der Viehschau Münsingen von Rubiger Bauern in die kleine und enge Gaststube des „Hüsi“ mitgeführt. Der Nachwelt überliefert ist die „ergötzliche Historia in einem zweiseitigen Gedicht mit dem Titel „Der berittene Bruno im Restaurant“.

 

Verfasser des Gedichtes war Hilarius Schartenmeier. Hinter dem Pseudonym versteckte sich der damalige Allmendinger Bäcker Paul Röthlisberger, genannt „Beck-Pole“, der täglich auch Rubiger Haushalte mit Brot versorgte und vielen älteren Dorfbewohnern noch in bester Erinnerung ist.

 

Der Ritt auf dem Muni

Zurück zur Historia mit dem Muni im „Hüsi“. Der erste Gedicht-Vers heisst: „Nach einer Viehprämierung ging es lustig her, die Rubilaner kamen besessen von Müns’gen her.“ Dann: „Beim Restaurant Hüsi löst man Muni Bruno von seiner Qual, schon hat man ihn ausgeladen, um ins Hüsi einzuladen.“ Weiter: „Bald darauf hat man beschlossen, wir wollen führen den Kolossen hinein ins Stammlokal, wie gesagt, so auch getan." Und: „Frau Wirtin war nun sehr entzückt, und sprach, das sei doch ganz verrückt, einen Ochsen im Restaurant! Das ist doch wirklich allerhand!“

 

Das Gedicht trägt den Titel „Der berittene Bruno im Restaurant“, weil sich in der „Hüsi“-Gaststube ein Genossenschafter auf den Muni-Rücken gesetzt hatte: Hilarius Schartenmeier verdichtete das so: „Ein junger, kühner Kavallerist, bestieg den Bruno mit Hinterlist; nun wird gewaschen hell und rein, die Locken des Bruno mit Weisswein.“

 

Das Ende des Gedichts

Das vom Autor dieses Artikels im Protokollbuch der Genossenschaft gefundene, mit Schreibmaschine verfasste Gedicht endet im ‚Hüsi“ so: „Die Zeit war ziemlich vorgerückt, Frau Wirtin war ja immer noch verrückt, doch den Bauern war das ganz egal, sie traten nun den Heimweg an.“

 

[i] Adolf Burkhalter übergab die Zuchtbücher nicht dem Feuer, sondern dem Archiv – und damit der Erinnerung. Auch „Beck-Poles“ Gedicht wurde im Protokollbuch gefunden – unter der Zeile: „Nachdruck verboten! Ausgenommen unter Bewilligung des Verfassers.“ Die holte sich Autor Martin Christen kurzerhand bei dessen Sohn ein.

 

[i] Dieser Artikel erschien bereits im Rubiger Kurier. 


Autor:in
Martin Christen, Rubiger Kurier, info@bern-ost.ch
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Erstellt: 19.04.2025
Geändert: 19.04.2025
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