• Region

Feldschützen Stettlen-Deisswil: «Die Faszination, präzise zu treffen»

Feldschiessen – voll veraltet? Davon ist bei den Feldschützen Stettlen-Deisswil nichts zu merken: Der Verein kann sich auch nach 150 Jahren nicht über Nachwuchsprobleme beklagen. Wie es bei den Feldschützen heute so läuft, was wichtig ist und welche Anlässe im Jubiläumsjahr geplant sind, erzählt Präsidentin Anne-Marie Graf.

Die versammelten Schütz:innen, vorne in Neongrün die Jungschütz:innen. (Foto: Feldschützen Stettlen-Deisswil)
Beim Zielen braucht es das Zusammenspiel von Körper, Kopf und Händen. (Foto: Feldschützen Stettlen-Deisswil)
Bei der Handhabung der Gewehre sind strikte Regeln angesagt. (Foto: Feldschützen Stettlen-Deisswil)
Die elektronische Schiessanzeige zeigt die Treffer an (Foto: Feldschützen Stettlen-Deisswil)
Blick aus dem Schiessstand (Foto: Feldschützen Stettlen-Deisswil)

Schiessen und Frauen? Das wäre in den Anfangsjahren der Feldschützen Stettlen-Deisswil nie und nimmer in Frage gekommen: Als der Verein vor 150 Jahren gegründet wurde, war das Schiessen eine reine Männerdomäne.

 

Vor allem hatten die Feldschützenvereine noch eine andere Bedeutung als heute: Nebst dem Trachtenverein und dem Gesangs- oder Turnverein gab es früher noch die Schützen, und diese sorgten gemeinsam für Unterhaltung im Dorf. Aber seither ist viel gelaufen, besonders im stadtnahen Stettlen.

 

Präsidium in Frauenhänden

Und auch bei den Feldschützen Stettlen-Deisswil: Heute hat der Verein sogar eine Frau zur Präsidentin. Allerdings wäre auch Anne-Marie Graf wohl nicht von sich aus zu ihnen gestossen, hätte sie sich nicht in ihren Mann verliebt und ihn vor rund 25 Jahren zum Schiessen begleitet. Sie schmunzelt, als sie zurückdenkt. Weil gerade ein Jubiläumsschiessen stattfand, sprang sie gleich ein und half beim Organisieren mit.

 

Schon bald hatte sie den Posten als Schiesssekretärin des Vereins inne und alle, die das obligatorische Programm schiessen oder sich beim Feldschiessen anmelden wollten, mussten mit dem Schiessbüchlein bei ihr antraben.

 

Früher mit dem Luftgewehr im Schiessstand

Vor 18 Jahren übernahm Anne-Marie Graf dann das Präsidium, und bei Übungen  führt sie das Schützenbeizli. «Ich wirke also einfach im Hintergrund», schmunzelt sie. Die Liebe zum präzisen Schiessen kann sie aber gut nachvollziehen, und bis heute schiesst sie ab und zu  ein obligatorischen Programm oder macht beim Feldschiessen mit.

 

Schon als Kind sei es für sie ein Highlight gewesen, auf Chilbis oder Herbstmessen mit dem Luftgewehr am Schiessstand auf die Tonröhrchen  zu zielen. «Ich habe immer ziemlich gut getroffen», sagt sie: Eine ganze Schachtel gewonnener Plüschmännlein und Blumen  zeugen davon.

 

Spass nur mit scharfen Augen…

Inzwischen passt es für sie gut, eher organisatorisch dabei zu sein, und an Wettkämpfen nimmt sie sowieso nicht teil. «Wollte ich das, müsste ich eine Extrabrille anfertigen lassen», erklärt sie. Zu ungenau funktionieren die Gleitsichtbrillen. Und genau sei das Problem bei älteren Schütz:innen: «Schiessen macht nur Spass, solange man scharf sieht.»

 

…und stabilem Rücken

Zwar können alle Mitglieder ab 60 Jahren bis ins hohe Alter als Veteranen mitmachen – solange der Körper mitspielt. Sobald sich jedoch körperliche Zipperlein melden – ein steifes Knie, ein schmerzender Rücken oder Nacken, ein Arm, der beim Aufstützen einschläft – hören die meisten von selbst auf: «Dann macht’s keinen Spass mehr.»

 

Eher ein Mangel an Veteranen…

Dementsprechend hätten die Feldschützen Stettlen-Deisswil kaum noch Senioren. Hinzu kommt: «Viele ältere Schützen haben uns auch verlassen, weil die Bedeutung des Vereins geändert hat – die Jüngeren wollen beispielsweise an einem Samstag nach Auffahrt oder über Pfingsten nicht mehr an Schiessanlässen mitmachen», erklärt Anne-Marie Graf. Heute ist der jüngste Aktive 66-jährig, und ausser ihm ist nur noch ein anderer Veteran dabei.

 

…dafür genug Jungschütz:innen

Das sei zum einen schade, sagt die Präsidentin, weil so die Erfahrung und die Gesellschaft der Älteren fehlen. «Andererseits ist es toll, dass wir keine Nachwuchsprobleme haben», freut sie sich. Das hat sich der Verein Stettlen-Deisswil nämlich extra auf das Programm geschrieben: «Wir wollen aktiv die Jungen nach der RS wieder zu uns holen.» 16 Jungschütz:innen sind gegenwärtig dabei, letztes Jahr waren es 20, «das war sogar eher zu viel», jeweils zwei Drittel sind junge Männer, ein Drittel junge Frauen.

 

Sogar für die Schule nützlich

Ob denn die Feldschützen bei den Jungen nicht langsam aus der Mode gekommen seien, wird Anne-Marie Graf manchmal gefragt. Sie schüttelt dann vehement den Kopf und sagt, im Gegenteil, das sei aktueller denn je und erweise sich sogar im Alltag als nützlich:  «Immer wieder zeigt sich, dass Jungschütz:innen mit Ehrgeiz auch  in Schule besser werden», sagt sie.

 

Klare Regeln und Struktur...

Im Jungschützenkurs lernen die Jugendlichen, sich auf den Moment zu konzentrieren, auf dem Punkt zu sein: Präzises Schiessen bedinge das harmonische Übereinstimmen von Körper, Auge und Hand. Das, so melden ihr Eltern immer wieder zurück, helfe, dass sich ihre Kinder auch im Unterricht besser konzentrieren können. «Das finde ich sehr cool, so können wir ihnen auch etwas fürs Leben mitgeben.»

 

…aber auch Plausch

Ausserdem seien Gemeinschaft und Zusammengehörigkeit wichtige Faktoren – und das Lernen, dass Regeln befolgt werden müssen. «Ein Gewehr ist eine potenziell tödliche Waffe», betont Anne-Marie Graf. Da trage man eine grosse Verantwortung. Dementsprechend ziehen die vier Jungschützenleiter – momentan sind alles Männer, manchmal sind auch junge Frauen dabei – die Regeln knallhart durch. «Daneben können sie aber auch zusammen Seich machen und lustig sein.»

 

Nicht drauflos ballern, sondern zielen

Alle Jahre findet ein Schnupperanlass an, anfänglich nur für Junge, inzwischen steht er allen offen: «Wir haben gemerkt, dass die Eltern auch sehr interessiert sind.» 20 bis 40 Leute pro Jahr lassen sich alles zeigen und erklären. Anne-Marie Graf freut das: So könne man ihnen ein Verständnis für das Schiesswesen vermitteln. Es gehe ja nicht darum, Leute abzuknallen: «Man ballert nicht drauflos, sondern pflegt die Faszination, präzise zu treffen!»

 

«Erfolg ist nicht selbstverständlich»

Und diese Faszination ist in Stettlen offenbar auch nach 150 Jahren ungebrochen. Das freut die Präsidentin besonders. Die Gemeinde sei ländlich aber doch stadtnah, und sie biete so viele Möglichkeiten, sagt sie: «Es ist daher nicht selbstverständlich, dass es bei den Feldschützen so gut läuft.»

 

[i] 150 Jahre Feldschützen Stettlen-Deisswil: Die Feldschützen Stettlen-Deisswil wurden 1874 gegründet und hatte ihren Schiessstand zuerst im Gümligentäli. Seit 1921 steht das Schützenhaus der Feldschützen Stettlen im Moos in Stettlen, es wurde 2002/2003 modernisiert. Heute besteht der Verein aus 68 Schütz:innen aus Stettlen und Umgebung. Neben dem aktiven Schiesssport wird jedes Jahr ein Jungschützenkurs durchgeführt, in dem Jugendliche zwischen 15 und 20 Jahren die sichere Handhabung des Sturmgewehrs 90 erlernen.

 

[i] Jubiläumsanlässe: Für das Jubiläumsjahr waren zwei spezielle Anlässe angesagt. Am Anlass für alle Schütz:innen des Amtsverbands und alle Mitglieder fand im Laufe des Tages ein Schiessen mit 3 Stichen statt, ein Stich gezeigt mit den 150 Jahre alten Originalkellen. Danach wurde bei einem Nachtessen gefeiert.  Da es am EM-Fussballmatch der Schweizer Mannschaft stattfand, wurde spontan ein Public Viewing organisiert, «das musste sein».

14. September für Bevölkerung und Vereine: Der zweite Anlass ist für die Bevölkerung und sämtliche Vereine von Stettlen geplant. Auch hier werde geschossen, erklärt Anne-Marie Graf, und man könne sich als Gruppe oder Einzelschütz:in anmelden. «Einzige Bedingung, man muss einen Bezug zu Stettlen haben», also entweder dort wohnen, arbeiten oder in einem Verein sein. An diesem Anlass steht das Beizli für ein kleines Mittagessen offen. Abends erfolgt dann die Rangverkündigung.


Autor:in
Claudia Weiss, claudia.weiss@bern-ost.ch
Nachricht an die Redaktion
Statistik

Erstellt: 26.07.2024
Geändert: 26.07.2024
Klicks heute:
Klicks total: