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Felle statt Finanzen: Der ungewöhnliche Weg von Bernhard Neuenschwander

Die Firma Neuenschwander aus Oberdiessbach sucht einen Geschäftsleiter, der künftig den Betrieb leitet. Wir haben den jetzigen Geschäftsführer Bernhard Neuenschwander getroffen. Er spricht über den Handel mit Tierfellen und was seine Nachfolgerin oder sein Nachfolger mitbringen muss.

Bernhard Neuenschwander: «Man kann fast allen ein Fell verkaufen.» (Foto: Rolf Blaser)
In Neuenschwanders Laden an der Industriestrasse 4 in Oberdiessbach gibt es vom Schuh über das Fell bis zu Handschuhen alles zu kaufen. (Foto: Rolf Blaser)
Blick in die Lagerhalle mit Fellen, die darauf warten verarbeitet zu werden. (Foto: Rolf Blaser)

Gerben ist eines der ältesten Handwerke und bedeutet, dass Häute und Felle zu Leder verarbeitet werden. Im Eingangsbereich der Gerberei Neuenschwander hängt ein Poster, welches zeigt, zu welcher Zeit und auf welche Art Leder gegerbt wurde. Schon die Höhlenbewohner bearbeiteten Felle, aber nicht so intensiv, wie dies heute noch in Oberdiessbach gemacht wird.

 

Der Traum vom Bankdirektor

Bernhard Neuenschwander, 59-jährig, empfängt mich in seinem Büro. Mein Blick schweift über Hüttenfinken, Handschuhe, Chilets, alle aus Lammfell gefertigt. Neuenschwander trat vor 38 Jahren in den Betrieb ein, den er heute führt. Er ist in Herzogenbuchsee aufgewachsen, sein Vater war Bankdirektor und Gemeindepräsident. «Als Kind wollte ich Bankdirektor werden», sagt Neuenschwander. Er besuchte die Handelsschule im Welschland und begann bei einer Bank zu arbeiten. Doch dann kam alles anders.

 

Felle statt Finanzen

Nach einem knappen Jahr bei der Bank merkte er, dass dieser Beruf nicht seinen Vorstellungen entsprach: «Es war wie in einer Fabrik, ich kam mir vor wie am Fliessband», sagt er. Just in dieser Zeit suchte die Gerberei Neuenschwander nach einem Nachfolger für die Geschäftsleitung.

 

Sein Grossvater fragte ihn, ob er sich vorstellen könne, den Betrieb später zu führen. Der 21-jährige Bernhard Neuenschwander überlegte es sich und kam für eine Schnupperwoche nach Oberdiessbach. Danach entschied er sich, den Schritt zu wagen. Er sagte sich, dass er ein Jahr lang den Betrieb kennenlernen wollte. «Und seitdem bin ich da», sagt Neuenschwander.

 

1862 gegründet

Heute führt Bernhard Neuenschwander in fünfter Generation den Betrieb in Oberdiessbach, der sich auf Rohwarenhandel, Produktion und den internationalen Handel mit Fellprodukten spezialisiert hat. Der Fellhandel wurde 1862 von Gottlieb Neuenschwander gegründet, der damals mit rohen Tierhäuten und Fellen handelte.

 

Heute macht dieser Geschäftsbereich noch etwa fünf Prozent des Umsatzes aus. «Seit 1862 verarbeiten wir ein Abfallprodukt: In den Gerbereien werden die Felle von geschlachteten Tieren gegerbt und kommen danach in den Handel. Wir sind der Überzeugung, dass wir etwas Gutes machen.»

 

Es geht ums Fell

Als er in der Firma begann, hinterfragte niemand, woher ein Fell kam, dies habe sich geändert. Das Wort «vegan» wurde erst 1999 in den Duden aufgenommen. «Seit etwa fünf Jahren wollen die Leute wissen, woher das Fell kommt.» So bietet die Gerberei eine Linie an, die ausschliesslich auf Produkten aus der Schweiz basiert, etwa Felle vom Schlachthof Thun. Neben der Verarbeitung von Häuten aus dem Schlachthof, werden auch Lohnaufträge von Jägern erledigt. «Der Jäger bringt uns das Fell, wir verarbeiten es und er bekommt es zurück.»

 

Ein harter Markt

Lohnaufträge von Jägern ist ein grosser Bestandteil der Arbeit der Gerberei. Neben der Neuenschwander Söhne AG gibt es in der Schweiz nur noch einen Betrieb, der gerbt. Im Inland laufe das Geschäft gut. Ein wichtiges Standbein der Firma ist der internationale Handel. Besonders beim Handel mit Lammfellen sieht sich Neuenschwander einem intensiven Preiskampf ausgesetzt.

 

«Wir sind gut aufgestellt, aber die Preise sind ständig unter Druck. Die Rentabilität der Firma ist eine Dauerherausforderung», sagt er. Lammfelle seien ein grosser Markt, diese werden verkauft für Aussenbereiche von Restaurants, Babyfelle oder medizinische Felle gegen das Wundliegen in der Krankenpflege.

 

Neu auch eigene Lederjacken

Neben der klassischen Gerberei und dem Fellhandel hat Neuenschwander das Geschäft erweitert. Der stationäre Laden in Oberdiessbach wurde verkleinert, während der Online-Verkauf stetig zunimmt. «Wir verkaufen heute deutlich mehr online.» Ein weiteres Standbein ist die hauseigene Leder Kollektion, die vor fünf Jahren lanciert wurde. «Das Design entwerfen wir, danach lassen wir die Jacken in Indien produzieren.» Für diesen Geschäftsbereich ist sein Cousin Marc Neuenschwander zuständig.

 

Wer übernimmt den Betrieb?

Was Bernhard Neuenschwander auch beschäftigt, ist die Nachfolgeregelung. Nächstes Jahr wird er 60, die Suche nach einem Nachfolger hat eben begonnen. Er sucht nach jemandem, der mittelfristig die Verantwortung für den Betrieb in Oberdiessbach übernehmen kann. Zu den Qualifikationen eines möglichen Nachfolgers oder einer Nachfolgerin sagt er: «Das Wichtigste ist eine sehr hohe Sozialkompetenz. Einen Tag sitzt man mit einem Grosskunden am Tisch, am nächsten mit einem Jäger. Wir müssen mit allen auskommen.»

 

Ideale Voraussetzungen für den Job ist eine kaufmännische oder verkaufstechnische Ausbildung. Bedingung sind weiter sehr gute Sprachkenntnisse in Französisch, auch Englisch ist wichtig.

 

Neuenschwander selbst plant, die Geschäftsführung schrittweise zu reduzieren. «Nächstes Jahr möchte ich auf 100 Prozent zurück von heute 120. Mit 62 möchte ich auf 80 Prozent reduzieren.»

 

Berufung gefunden

Trotz der Herausforderungen liebt Bernhard Neuenschwander die Vielseitigkeit seines Berufs. «Wissen Sie, man kann fast allen ein Fell verkaufen», sagt er, als wir durch die Gerberei und eine bis unter die Decke gefüllte Lagerhalle schreiten. 

 

Seit 162 Jahren werden in Oberdiessbach Felle gehandelt. Bernhard Neuenschwander sucht jetzt nach einem passenden Nachfolger oder einer Nachfolgerin - damit auch in Zukunft niemand frieren muss und sich in ein wärmendes Schaffell hüllen kann.

 

[i] Die Firma G. Neuenschwander Söhne AG ist seit fünf Generationen in Familienbesitz. Sowohl alle Verwaltungsratssitze als auch sämtliche Aktien liegen in den Händen der Familie.

 

[i] Die G. Neuenschwander Söhne AG mit Sitz in Oberdiessbach betreibt Rohwarenhandel mit Tierhäuten und Fellen. Im Betrieb in Oberdiessbach werden Felle (vom Kaninchen über Fuchs bis Schaf) aus Schlachthöfen gegerbt und für den Verkauf aufbereitet. Daneben handelt Neuenschwander mit Lederwaren und vertreibt eine eigens designte Leder Kollektion. Im Wallis betreibt Neuenschwander ein Metzgercenter, welches en gros Fleisch, Zubehör und Maschinen an Metzgereien verkauft. Zudem besitzt die Firma verschiedene Immobilien.

 

[i] Die Bereiche Immobilien, Verwaltung, Finanzen und Lederbekleidung werden von Marc Neuenschwander geleitet. Bernhard Neuenschwander ist für die Gerberei, Ein- und Verkauf sowie den Standort im Wallis verantwortlich.


Autor:in
Rolf Blaser, info@bern-ost.ch
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Erstellt: 27.10.2024
Geändert: 27.10.2024
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