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Volksmotion gestartet: Angst um Freizythuus Münsingen

Der Gemeinderat von Münsingen will in den kommenden Jahren das Freizythuus Münsingen auf neue Füsse stellen, weil es zu wenig genutzt wird und im Verhältnis zu viel kostet. Dagegen gibt es Widerstand mittels Volksmotion und Facebook-Rage.

Basteln vor dem Freizythuus. Geht es nach dem Gemeinderat ist es in Zukunft billiger. (Bild: Freizythuus-muensingen.ch)

Ein kleiner Satz im neuen Aufgaben- und Finanzplan der Gemeinde sorgte in den vergangenen Tagen in Münsingen für Aufruhr. "Der Gemeinderat hat als Ziel formuliert, bis Ende 2020 über Zukunft und Trägerschaft des Freizythuus zu entscheiden", heisst es unter Kultur, Sport und Freizeit.

 

"Halbwahrheiten": Die Wut im Internet

Alarmiert durch die Zielformulierung haben ein paar Münsingerinnen und Münsinger eine Volks- und Jugendmotion gestartet, die verlangt, das Freizythuus im gleichen Stil und am gleichen Ort weiterzuführen und es auch in Zukunft mindestens im bisherigen Umfang zu unterstützen. Seinen Anfang nahm der Bürgerprotest auf der Facebookseite "Freizythuus Münsingen-Fans". In emotionalen Einträgen wird dem Gemeinderat vorgeworfen, er versuche "klammheimlich" das Ende des Freizythuus zu besiegeln. Ohne Vorlaufzeit, aber "mit Halbwahrheiten" werde versucht, eine der bedeutendsten sozialen Institutionen des Aaretals auszuradieren. Die Kommentare auf der Facebookseite zielen grossmehrheitlich in eine ähnliche Richtung.

 

Das Freizythuus beim Schlossgut gibt es seit über fünfzig Jahren. Die Grundidee des gemeindeeigenen Projekts ist, Laien für ihre handwerklichen Projekte in den Sparten Holz, Keramik und Nähen/Basteln die nötige Infrastruktur und fachliche Begleitung anzubieten. Für diesen Service bezahlen Erwachsene symbolische neun Franken, Kinder die Hälfte. Die Nutzung von Maschinen kostet extra: Nähmaschine und Töpferscheibe vier Franken für die erste und einen für jede weitere Stunde, die Schreinereimaschinen zwischen 12 und 36 Franken pro Stunde. Ausserdem bietet das Freizythuus den Münsinger Ferienpass an und veranstaltet den jährlichen Herbstmarkt und das Kerzenziehen.

 

Ein Besuch kostet die Gemeinde 65 Franken

In einer Stellungnahme betont der Gemeinderat, er wolle das Freizythuus auch in Zukunft unterstützen, strebe aber ein besseres Kosten/Nutzen-Verhältnis an. Die Gemeinde beschäftigt im Freizythuus fünf Personen, die sich insgesamt 300 Stellenprozente teilen. Das Haus gehört der Stiftung für Betagte Münsingen, die wiederum von der Gemeinde und den Kirchgemeinden getragen wird und keine Miete verlangt. Trotzdem beträgt das jährliche Defizit des Freizythuus rund eine Viertelmillion Franken. Bei 3850 Einzeleintritten, soviele waren es 2017, kostet ein Besuch die Gemeinde somit 65 Franken. Zum Vergleich: Für das Freibad zahlt die Gemeinde 2.80 Franken pro Eintritt. 

 

"Die Besucherzahlen sind seit Jahren enttäuschend", schreibt die Gemeinde. Seit Jahren habe man versucht, das Angebot vielfältiger zu gestalten, die zuständige Gemeinderätin Vera Wenger (Grüne) nennt als Beispiele Firmenevents oder Kindergeburtstage. Das sei aber nicht gelungen. Drei Vollzeitstellen bei Öffnungszeiten von meist nur wenigen Stunden pro Tag klingen für aussenstehende Ohren nach ziemlich viel. Vera Wenger sieht das auch so. "Es ist schon 'chli verruckt'", sagt sie. Sie wolle aber nicht die Qualität der geleisteten Arbeit in Frage stellen. "Die ist unbestritten."

 

Hauskauf als Option

"Das Ziel des Gemeinderats und der Kommission Kultur, Freizeit und Sport ist, das Freizythuus langfristig zu sichern, aber auch, das Geld im Kulturbereich fairer und bedürfnisgerechter zu verteilen", sagt sie. Man überlege sich sogar, das Gebäude zu kaufen. "Jetzt, wo es der Gemeinde gut geht, ist der Moment, um Weichen zu stellen."

 

Bis mindestens Ende 2019 wird der Betrieb noch weiterlaufen wie gehabt. Für die Zukunft sucht der Gemeinderat aber nach einer anderen Betriebsform . "Ein mögliches Modell wäre ein Atelierbetrieb", sagt Wenger. Dabei würde die Gemeinde die Ateliers gratis oder sehr günstig an Handwerktreibende verleihen oder vermieten, diese müssten im Gegenzug eine Leistungsvereinbarung unterschreiben, nach der sie ähnliche Dienste anbieten wie die heutigen Angestellten. Die Gespräche im Gemeinderat würden aber erst beginnen, klar sei noch überhaupt nichts.

 

"Mehr als eine Werkstatt"

Hinter der Volksmotion und der Facebookseite steckt ein Komitee, dessen Kontaktperson Mirko Jost ist. Das Komitee bestehe aus rund 25 Personen, die das Freizythuus meist auch selber nutzen würden, sagt er auf Anfrage.

 

"Wir haben uns getroffen, nachdem Gerüchte aufkamen, das Freizythuus sei in Gefahr. Die Volksmotion und auch die Facebookseite entstanden sehr spontan, und auch etwas unkoordiniert, und wir sind vom Echo überwältigt. Es haben sich extrem viele Leute gemeldet, auch mit verschiedenen Meinungen."

 

Wieviele bisher die Motion unterschrieben haben, möchte Jost nicht sagen, nur dass die nötigen 50 problemlos erreicht wurden . "Das ist gar nicht so wichtig. Uns geht es vorallem darum, dass ein Dialog entsteht und dieses Ziel haben wir schon erreicht." Weder er noch seine Mitstreitenden seien zudem dagegen, dass das Haus weiterentwickelt werde und sich verändere, solange es seinen Charakter behalte. "Das Freizythuus ist mehr als eine Werkstatt. Hier treffen sich Kinder und Senioren, es kommen Leute mit physischen und psychischen Beeinträchtigungen. Es ist ein Intergrationsprojekt."

 

Unterschriftensammlung geht weiter

Nach der ersten Rage klingt auch die Kritik auf Facebook etwas versöhnlicher. "Liebe Fan-Gemeinde, Euer Engagement und die vielen Kommentare zeigen Wirkung", heisst es im neuesten Eintrag. Aufgrund der positiven Tendenz habe das Komitee beschlossen, die Motion noch nicht an der Parlamentssitzung vom nächsten Dienstag zu überreichen, sondern zuerst den Weg über die direkte Kommunikation weiterzuverfolgen. Die Unterschriftensammlung gehe aber weiter.

 

 


Autor:in
Anina Bundi, anina.bundi@bern-ost.ch
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Erstellt: 30.10.2018
Geändert: 30.10.2018
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