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Matthieu Lossel aus Zäziwil: Er fuhr die härteste Radtour der Welt

Matthieu Lossel aus Zäziwil hat eine schier unglaubliche Leistung erbracht. Er ist mit dem Rennvelo von der West- an die Ostküste der USA geradelt. In der ersten Nacht hat er nur 18 Minuten geschlafen. Er erzählt von Halluzinationen und endlosen Strassen.

Mathieu Lossel hat 5000 Kilometer in zehn Tagen zurückgelegt. (Foto: zvg/Rolf Blaser)
Matthieu Lossel aus Zäziwil: «Am Schlimmsten waren die Halluzinationen.» (Foto: Rolf Blaser)

Wir treffen uns im BERN-OST Kafi. Matthieu bestellt ein Glas Wasser, so sieht also ein Marathon-Velofahrer aus, denke ich mir. Die Haut gebräunt, der Bart halbwild, die Mütze sitzt, darunter ein stetes zufriedenes Lächeln. Matthieu Lossel hat verschiedene Anläufe gebraucht, um endlich dieses Rennen zu fahren. Wir wissen nicht, ob es das härteste Velorennen der Welt ist, aber einfach war es bestimmt nicht.

 

Per Zufall mitgefahren

Matthieu scheint nicht der übliche Gümmeler zu sein. Also nicht einer, der die meiste Zeit auf dem Rennvelo verbracht hatte. Er sei vor ein paar Jahren von einem Arbeitskollegen gefragt worden, ob er mitmache das Alpenbrevet zu fahren. Matthieu sagte spontan zu, beim Alpenbrevet werden drei, vier oder fünf Schweizer Alpenpässe in einem Tag gefahren. Er nahm die fünf-Pass-Variante. Danach habe ihm einer – das war vor etwa zehn Jahren – vom «Race Across America» erzählt. Das hat ihn gereizt, sein nächstes Ziel war gesetzt.

 

Nur die Hälfte kommt durch

Matthieu trainierte viel, fuhr Ultra-Radrennen in der Schweiz und Österreich. Er war fit, hätte in Amerika starten können, doch dann kam Corona. Zwei Jahre später spulte er nochmals dasselbe Training ab, trainierte in Frankreich, fuhr und schwitzte viel. Mitte Juni war er bereit, er startete in Kalifornien mit 23 anderen Solo-Fahrern zum «Race Across America». Nur elf sollten es bis ins Ziel schaffen, Matthieu gehörte zu ihnen.

 

Schwerer Unfall vor dem Ziel

Das Rennen führt von Kalifornien an die Ostküste der USA. Die Fahrer überqueren die Rocky Mountains, die Appalachen, fahren durch die Wüste, umfahren Städte, pedalen über Highways und legen rund 5000 Kilometer und 50'000 Höhenmeter zurück. Die Zeit läuft immer, auch wenn sie schlafen, duschen oder essen.

 

Wie oft dachte Matthieu unterwegs ans Aufgeben? «Nie», kommt es wie aus der Pistole geschossen, «aufgeben war keine Option.» So tönen Sieger. Er hat das Rennen ohne Sturz, platte Reifen oder Panne überstanden. Das sei nicht selbstverständlich, sagt Matthieu. Die Schweizerin Nicole Reist, die das Rennen drei Mal gewonnen hatte, ist 70 Kilometer vor dem Ziel schwer gestürzt. Noch immer erhole sie sich im Spital von den Folgen, erzählt er.

 

Zu viel Verkehr

Das gefährlichste seien die grossen Städte gewesen, Matthieu sagt: «Obwohl man die Städte umfährt, hat es teilweise schon viel Verkehr. Ob nachts oder tagsüber, besonders bei Baustellen wurde es manchmal eng wenn ein Truck überholte.» In der Nacht ist jeweils ein Begleitauto zum Schutz dicht hinter ihm gefahren. Je weiter Matthieu gegen Osten fuhr, je mehr nahm der Verkehr zu. Einzig in der Wüste war es ruhig.

 

Halluzinationen auf dem Velo

«Das Schlimmste waren die Halluzinationen, ich habe nachts oft Leute vor mir auf der Strasse gesehen», so Matthieu. Halluzinationen auf dem Velo? Er habe in der ersten Nacht nur 18 Minuten geschlafen. «Ich habe dem Team gesagt, sie sollen mich wecken», auch sonst habe er maximal eineinviertel Stunden am Stück geschlafen. Danach sei er wieder aufs Rennrad.

 

Manchmal habe er kaum gewusst, was mit ihm geschehe. Dann kamen diese Halluzinationen, Leute oder Gegenstände vor ihm auf der Strasse. Via Funk habe er seine Begleiter gefragt, ob tatsächlich Leute da seien. Diese hätten ihn beruhigt, es seien nur Halluzinationen. Matthieu trat weiter in die Pedale, im Schnitt 500 Kilometer am Tag.

 

«Das war unglaublich schön»

«Der schönste Moment war, als ich von den Rocky Mountains runter nach Kansas gefahren bin», schwärmt Matthieu. «Das war der Hammer, ich hatte die Strasse für mich allein, die Sonne ging auf, diese Stimmung in der Prärie, das war herrlich.» Auch die Fahrt über die Appalachen sei sehr schön, aber auch hart gewesen. «Ich bin kein Bergfloh», so Matthieu, auch wenn er scheinbar locker die 3500 Meter hohen Rockys überquerte. «Ich bin nicht schnell am Berg, ich kann gut rollen. In den Rockys geht’s zwar immer aufwärts, aber es ist nie so steil wie bei uns in der Schweiz.»

 

70'000 Franken Budget

«Ein Team von zehn Personen hat mich unterstützt», ohne deren Hilfe hätte Matthieu Lossel dieses Rennen nie abspulen können. Sein Ex-Chef, seine Mutter, sein Onkel und Freunde haben dafür gesorgt, dass ein Bus bereitstand, wenn er kurz schlafen wollte. Sie waren mit einem Bus und einem Wohnmobil unterwegs, schauten fürs Essen, halfen aus, feuerten ihn an. Das Abenteuer hat Matthieu selbst finanziert. «Das Ganze kostete etwa 70'000 Franken, das 13’000-fränkige Velo nicht eingerechnet.» Zum Schluss die obligate Frage, würde er es nochmals machen? «Nein, im Moment habe ich keine weiteren Pläne.»

 

[i] Matthieu Lossel (33) ist in USA geboren und lebte die ersten zwei Jahre dort. Dann zog seine Familie nach Deutschland, wo er bis zehn aufwuchs. Seither wohnt er in Zäziwil. Er machte eine Schreinerlehre und arbeitete in Zäziwil und Bowil. Vor ein paar Jahren liess er sich umschulen und arbeitet heute im Rohstoffhandel.

 

[i] Matthieu legte die 5000 Kilometer in 10 Tagen 15 Stunden und 22 Minuten zurück.


Autor:in
Rolf Blaser, rolf.blaser@bern-ost.ch
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Erstellt: 04.07.2024
Geändert: 04.07.2024
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