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Kirchenchor Biglen: Nach 106 Jahren Zeit für Neues
Der Kirchenchor Biglen ist in die Jahre gekommen – im doppelten Sinn: Dieses Jahr feiert er sein 106-Jahr-Jubiläum. Und während die Sänger:innen immer älter werden, stossen immer weniger jüngere Sänger:innen dazu. Deshalb feiert der Chor im Dezember zugleich einen Abschied mit einem grossen Konzert – und einen Aufbruch zu neuen Formen.
Martin Studer lacht. Nein, so etwas sei ihm noch nie passiert: Üblicherweise wird er offiziell angefragt oder startet selbst ein musikalisches Projekt. Zum Kirchenchor Biglen hingegen stiess er ähnlich überraschend wie seinerzeit Maria zum Jesuskind.
Kirchenchor gerettet...
Der Dirigent erinnert sich noch gut, wie er gerade beim Zürcher Paradeplatz auf das Tram wartete, als sein Telefon klingelte. Eine ehemalige Schülerin, die früher bei ihm am Schweizerischen Musikpädagogischen Verband Unterricht in Musiktheorie gehabt hatte, fragte: «Kannst du unseren Kirchenchor Biglen retten?»
...und gleich geblieben
Es sei dringend, sagte sie: In zehn Tagen finde das grosse Jahreskonzert statt, und die Nachfolgerin der langjährigen Dirigentin Hedwig Gfeller, die den Chor 40 Jahre lang geleitet hatte, sei krankheitshalber ausgefallen. Spontan übernahm Studer. Er führte den Chor durch die letzten Proben und zum Konzert – und am Ende waren die Chormitglieder so zufrieden mit ihrem Ersatzdirigenten, dass sie ihn gleich definitiv als neuen Dirigenten wählten.
Nach einem Dutzend Jahren...
Das ist jetzt zwölf Jahre her. «Jetzt», sagt Martin Studer, «ist das Dutzend voll, und wir müssen einen neuen Weg finden.» Nicht, weil er vom Chor genug hätte, nein, aber weil das Durchschnittsalter der Sänger:innen mittlerweile 76 Jahre betrage, viele stünden an der Schwelle zu den Achtzigern. Kurz: «Der Chor wird zu alt, wir mussten einen Entscheid treffen.»
...fehlt jetzt der Nachwuchs
Das Hauptproblem sei auch nicht, dass niemand mehr singen wolle, erklärt Studer. «Aber nur die wenigsten Jüngeren möchten jahrein, jahraus jeden Dienstagabend proben.» Er hat sich deshalb im August mit seinen Chormitgliedern zusammengesetzt und überlegt, was Sinn mache. Der Beschluss lautete dann: «Wir machen einen fulminanten Abschluss mit einem besonderen Konzert.» Es sollte aber keine endgültige Beerdigung werden, sondern Türen offenlassen: «Danach schauen wir, was neu entstehen kann.»
Aber viele singen gern...
Wahrscheinlich werden das künftig eher «Kurz-und-Heftig-Produktionen» sein, vermutet Dirigent Studer, der in Rüfenacht wohnt: Konzerte mit wenigen, aber intensiven Proben zum Beispiel. Oder aber ein offenes Singen: Wie gerne viele Leute eigentlich singen, hat er an Chorkonzerten erlebt, wenn das Publikum eingeladen ist, Dona Nobis Pacem gemeinsam mit dem Chor mitzusingen. «Das berührt alle sehr, und viele lassen sich gerne zum Singen begeistern.»
...darum entstehen schon neue Ideen
Trotzdem ist Martin Studer nicht geknickt über den Entscheid, Ende Jahr einen Punkt hinter den 106-jährigen Kirchenchor in seiner heutigen Form zu setzen: Er hat schon neue Ideen. «Die Zeiten haben sich gewandelt», sagt er, das sei ihm völlig bewusst. Für ihn ist die Hauptsache, dass es noch Life-Chöre gibt statt nur noch Hintergrundbegleitung ab CD, «die nur halb so gut klingt». Musik, das ist ihm wichtig, «muss vor allem berühren, nicht hochglanzperfekt sein». So geht er auch an seine Produktionen heran: Mit viel Herzblut und Begeisterung.
Fulminantes Schlussbouquet...
Auch mit dem Kirchenchor Biglen hat der Dirigent einen herzhaften Abschluss geplant: Das Brahms Requiem, ein imposantes Chorkonzert. «Das Stück setzt ein fulminantes Schlussbouquet auf das Ende des Kirchenchors Biglen», findet er. Und es passe zum gemeinsamen Entscheid, lieber auf dem Höhepunkt abzutreten als den Chor langsam zerfleddern zu lassen. Ausserdem, betont Studer: «Es handelt sich bei diesem Requiem nicht um ein Trauerstück, sondern um eine Trostmesse für die Hinterbliebenen.»
...mit Kraft und Hoffnung
Das Stück – emotional, aber auch kraft- und hoffnungsvoll – passt auch zum Plan, den Chor zwar in seiner bisherigen Form Ende Jahr einschlafen zu lassen, und dennoch offen zu lassen, ob er irgendwie weiter bestehen soll. «Es wird ein Abschied, aber zugleich ein Aufbruch zu neuen Ufern», verspricht Martin Studer. Und wenn man bedenkt, wie spontan er vor zwölf Jahren zum Kirchenchor Biglen kam, kann man schon gespannt sein, welche neuen Projekte daraus in Zukunft entstehen.
[i] Grosses Abschlusskonzert des Kirchenchors Biglen: Samstag, 30. November 2024, 19.30 und Sonntag, 1. Dezember 2024, 15.00, jeweils in der Kirche Biglen. Tickets: Telefon 031 839 33 44 oder via Chormitglieder 076 583 93 33. Infos: www.nzo.ch. Hinweis: Für das Sonntagskonzert hat es nur noch wenige Restkarten!
[i] Solierende: Daniell Allenbach, Horn; Kathrin Hottiger, Sopran; Patrick Oetterli, Bass. Orchester: Neues Zürcher Orchester.
Erstellt:
27.11.2024
Geändert: 27.11.2024
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