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Konolfingen: Es geschah kurz vor Mitternacht
Dieser Fall hätte nicht vor Gericht landen müssen. Ein Mann folgte mit seinem Auto einem anderen Auto, nachdem dieser die Autobahn in Rubigen verliess. Er folgte dem Auto bis nach Konolfingen, dort kam es zum Streit. Am Mittwoch standen sich die beiden vor Gericht gegenüber.
Es ist eine komische Geschichte, wie sie im Gerichtssaal vor dem Berner Regionalgericht erzählt wird. Am Ende gibt es zwei Verlierer: Das Opfer leidet seither an einer schweren Sehstörung, der Täter musste dafür 80'000 Franken bezahlen.
Es begann in Rubigen
Die Tat ereignete sich an einem späten Abend im November vor fünf Jahren. Der Angeklagte verliess mit seinem Auto die Autobahn bei Rubigen und hielt vor der Ampel Richtung Münsingen. Hinter ihm fuhr das spätere Opfer. Als die Ampel auf Grün wechselte, sei der Angeklagte sehr langsam losgefahren, sagte das Opfer vor Gericht. «Ich dachte entweder ist der betrunken oder der Fahrer leidet an einem medizinischen Problem.» Darauf entschied er sich, dem Auto zu folgen.
Er folgte dem Auto bis Konolfingen
Der Angeklagte fuhr sachte weiter, über den Kreisel Richtung Münsingen. Da dieser weiterhin langsam unterwegs war, ging das Opfer im Auto dahinter weiter davon aus, dass mit ihm etwas nicht stimmte. Obschon das Opfer in Münsingen wohnt, folgte er dem Auto weiter. Über zehn Kilometer fuhr er hinter ihm her via Tägertschi bis nach Konolfingen.
Der Angeklagte hingegen fühlte sich verfolgt. Er merkte, dass das Auto im Rückspiegel ihm stets folgte. Er sei ein paar Mal langsam gefahren, damit dieser überholen könnte, was nicht passierte und ihn in seiner Überzeugung festigte, dass er verfolgt wurde.
In Konolfingen kam es zum Handgemenge
In Konolfingen bog er von der Burgdorfstrasse links in die Oberdorfstrasse ab und hielt an. Der Angeklagte wollte schauen, ob er ihm immer noch folgte. Er stieg aus und sah, dass der andere Wagen ebenfalls wartete. Beide nahmen ihr Handy und fotografierten sich gegenseitig. Danach ging der Angeklagte zum Auto des Opfers. Dieser blieb sitzen und liess die Scheibe runter.
Es kam zu einem Wortgefecht, worauf der Angeklagte einen Pfefferspray aus der Hosentasche zog und dem Opfer zwei Mal aus etwa einem Meter mitten ins Gesicht sprayte. Darauf sah dieser nichts mehr, hatte nach eigenen Angaben ein Blackout, verlor die Kontrolle über sein Auto und rollte direkt ins parkierte Auto des Angeklagten. Was schiefgehen konnte, ging schliesslich schief.
Der Mann fühlte sich verfolgt
Vor Gericht sahen sich die beiden Schweizer Männer um die 50 wieder. Beide schildern den Hergang unterschiedlich. Der Angeklagte sagte, dass er Angst gehabt habe. Es sei nicht normal, dass ihm ein Auto abends um halb zwölf von der Autobahn bis nach Konolfingen folge. «Ich hatte Herzklopfen und wollte wissen, warum dieser mir folgte», beschrieb er die Szene. Als er mit ihm durchs offene Autofenster sprach, habe das Opfer ein Messer in die Hand genommen, so der Angeklagte, worauf er ihm mit Pfefferspray ins Gesicht gesprüht habe.
Er wollte nur helfen
Er habe kein Messer gehabt, sondern habe nach seinem Handy auf dem Beifahrersitz gegriffen, sagte das Opfer vor Gericht. Warum er denn dem Auto mitten in der Nacht gefolgt sei, wollte der Gerichtspräsident wissen. «Ich dachte, der Fahrer habe ein medizinisches Problem. Ich wollte ihm helfen, falls ihm etwas passiert.» Er sei ihm nicht nahe aufgefahren, sondern sei auf Distanz geblieben. Als der Angeklagte abbog, habe er angehalten und geschaut, ob alles in Ordnung sei. Dann sei dieser zu ihm ans Auto getreten und es sei eskaliert.
Schwere Augenverletzung zugezogen
Seit dieser Pfefferspray-Attacke vor fünf Jahren ist das Opfer in ärztlicher Behandlung. Es bestand – laut Bericht des Inselspitals – sogar die Gefahr einer Erblindung. Heute verfügt er rechts noch über eine Sehschwäche von 60 Prozent. Während zweieinhalb Jahren konnte er nicht Autofahren, während Monaten war er arbeitsunfähig, erst nachdem er die Arbeit wechselte, konnte er wieder voll arbeiten. Noch heute leidet er an Konzentrationsstörungen, abends lesen gehe nicht mehr, sagte er vor Gericht.
Wende im Prozess
«Mir war nicht bewusst, wie gefährlich der Pfefferspray ist. Ich habe den vor Jahren gekauft, nachdem ich bedroht worden war», so der Angeschuldigte. Während der Befragung vor Gericht sagte der Angeklagte, es tue ihm leid, er biete dem Opfer 20'000 Franken für den angerichteten Schaden. Darauf rief der Gerichtspräsident beide Parteien auf, dies zu besprechen. Die Verhandlung wurde unterbrochen, es ging hin und her. Wie im Film traten die Staatsanwältin, der Anwalt des Klägers und der Verteidiger vor den Richter und besprachen sich. Zwei Stunden später ging die Verhandlung weiter.
Der Angeklagte erklärte sich bereit, dem Opfer 60'000 Franken zu bezahlen, worauf das Opfer seine Zivilklage und die Klage im Straffall zurückzog. Ein entsprechender Vergleich wurde noch im Gerichtssaal unterschrieben.
Staatsanwältin: Schwere Anklage
«Es ist gut, dass es zu einer Einigung kam. Trotzdem muss der Staat diesen Fall rechtlich beurteilen, da es sich um ein Offizialdelikt handelt», sagte die Staatsanwältin zu Beginn ihres Plädoyers. Sie geht von einer schweren Körperverletzung aus: «Eine Augenverletzung ist eine schwere Beeinträchtigung und kann das ganze Leben beeinträchtigen», sagte sie in ihrem Plädoyer.
Der Angeklagte habe nicht in Notwehr gehandelt. Das Opfer sei angegurtet im Auto gesessen und habe ihn nicht bedroht. Der Täter habe diese Verletzung in Kauf genommen. Er habe bereits früher einen Angreifer mit Pfefferspray in die Flucht geschlagen und wusste, was ein Pfefferspray anrichten kann, so die Staatsanwältin. Sie forderte eine Haftstrafe von sechs Monaten unbedingt, sowie 24 Monate auf Bewährung.
Verteidiger: Freispruch gefordert
«Der Angeklagte war nicht auf der Suche nach einer Konfrontation, sondern hat sich korrekt im Verkehr verhalten», so sein Verteidiger. Dieser plädierte auf Freispruch und sollte es zu einer Verurteilung kommen: auf fahrlässige Körperverletzung.
Gericht: Verfahren eingestellt
Der Dreier-Gericht entschied, das Verfahren einzustellen, was einem Freispruch gleichkommt. Der Gerichtspräsident begründete den Entscheid folgendermassen: Der Angeklagte habe sich bis auf den Einsatz des Pfeffersprays korrekt verhalten. «Wenn einem jemand spätabends folgt, kann dies angsteinflössend wirken», so der Gerichtspräsident. Was beim Gespräch der beiden abgelaufen sei, konnte nicht rekonstruiert werden.
Aber: «Beim Einsatz des Pfeffersprays, durfte der Beschuldigte davon ausgehen, dass keine bleibenden Schäden verursacht werden.» Als er diesen betätigte, hielt er den doppelten Mindestabstand ein. Zudem taxierte das Gericht die Art der Verletzung vom juristischen Standpunkt aus gesehen, als leicht. «Der Angeklagte beging eine einfache Körperverletzung, diese fehlt aber in der Anklageschrift, weshalb das Verfahren eingestellt wird», so die Begründung des Gerichtspräsidenten.
Gericht muss sich an Anklageschrift halten
Da die Staatsanwältin lediglich auf «schwere Körperverletzung» plädierte, kann das Gericht den Angeklagten nicht wegen einer einfachen Körperverletzung verurteilen. Das Gericht kann nur innerhalb des Rahmens der Anklageschrift entscheiden. Der Gerichtspräsident sagte abschliessend: «Der Beschuldigte hat sich beim Opfer entschuldigt und sieht seinen Fehler ein. Das nehmen wir ihm ab. Er bezahlt einen Vergleich in der Höhe von 60'000 Franken plus einen Teil der Prozesskosten von 20'000 Franken. Wir hoffen, damit einen Schlussstrich zu ziehen.»
[i] Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, die Parteien können innert zehn Tagen beim Obergericht Berufung einlegen.
Erstellt:
25.03.2025
Geändert: 25.03.2025
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