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Münsingen - Hausarzt Ulrich Schafroth schätzt seine eigenen vier Wände

Quelle
Berner Zeitung BZ

Der Münsinger Hausarzt Ulrich Schafroth hält wenig von Managed Care. Die Vorlage lenke ab, statt Probleme zu lösen. Er ist als Einzelkämpfer glücklich geworden, versteht aber, dass immer weniger junge Ärzte einsteigen. Die Anreize seien falsch gesetzt.

Entspannt sitzt Ulrich Schafroth in der Laborecke seiner Praxis, in zivil. «In den Arztkittel schlüpfe ich nur, wenn ich etwas aufschneiden muss, einen Abszess beispielsweise», sagt er. Auch nach über zwanzig Jahren in dieser Fünfeinhalbzimmerwohnung in Münsingen fühlt er sich als «Einzelkämpfer» zufrieden: «Der Adler fliegt alleine, die Raben scharenweise, sagte mein Lehrer jeweils.» Schafroth hält es ebenso, klaglos. Nein, es macht ihm sogar Spass: «Ich erlebe mit, wie Kinder erwachsen werden, wie die Generationen vorüberziehen. Das ist schön.» Der Tendenz zur Gruppenpraxis schaut er skeptisch zu, Managed Care ist für ihn kein allgemeingültiges Rezept für die Grundversorgung im Gesundheitswesen. Am 17. Juni wird er deshalb Nein stimmen. «Es lenkt ab», begründet er. Die Kosten explodierten nicht wegen der Hausärzte. Daran, dass auf dem Land die Ärzte knapp würden, ändere die Vorlage ebenfalls wenig. «Das Zementieren von Strukturen rettet die Grundversorgung nicht.»


Das Problem ist der Lohn

Gleich neben dem Mikroskop steht der Kaffeeautomat, zwei Schritte daneben ein Bistrotischchen für die Pause: «Ich habe noch nie eine Planungssitzung abgehalten. Ich spreche die Ferien mit meinen beiden Praxisassistentinnen beim Kaffee ab.» Das passt Schafroth. Von Kollegen in Ärztenetzwerken weiss er, dass sie angeblich bis zu fünfzig Prozent ihrer Zeit in die Administration investierten. «Das ist doch schade!», bedauert er.

Dabei stimmt es schon: «Der Einstieg als Hausarzt mit eigener Praxis ist hart. Bei einem Notfall nachts um halb zwei ist niemand da, der einem mit Rat und Tat zur Seite steht», erzählt Schafroth. Und der Aufwand wird erst noch schlecht entlöhnt im Vergleich zu den Spezialisten. Kein Wunder, schlügen die oft begeisterten Praktikanten dann doch eine andere Richtung ein. Noch drängt die Zeit für den 62-Jährigen nicht. Trotzdem fragt er sich schon heute, ob er wie so viele andere keinen Nachfolger für seine Praxis finden wird.

Die Lösung ist viel einfacher

Dass die Krankenkassen so grosse Stücke auf Managed Care halten, erstaunt Schafroth nicht. Seine Vermutung ist pikant: Sie versprächen sich davon letztlich mehr Patienteninformationen. Dabei existiere seit einigen Jahren ein unbürokratisches Modell, dass die Vorteile von Managed Care bereits beinhalte, das Hausarztmodell. Auch darin sei die erste medizinische Ansprechstation definiert. In neun von zehn Fällen erledigt der Hausarzt das Problem des Patienten, sagen Statistiken. Die Grundversorgung kostet nur sieben Prozent des Gesamtkuchens.

Schafroths Reich an der Bernstrasse ist 120 Quadratmeter gross. Neben dem Labor, der Kaffeeecke und dem Empfangsbuffet umfasst es ein Wartezimmer, eine Toilette, ein Röntgenraum, eine Medikamentenkammer, ein kleines Büro und zwei Sprechzimmer. Darin hängen grossformatige Fotografien. Motive sind seine beiden Söhne als Kinder und wilde Tiere aus Afrika, zwei Facetten aus Schafroths Leben ausserhalb des Berufs.

Lücken tun sich auf

Schafroth lässt sich nicht auffressen vom Praxisalltag. Er hält sich an einen klar strukturierten Arbeitstag. Hie und da gibt es Hausbesuche. Den Notfalldienst haben sich die Ärzte im Aaretal gut aufgeteilt, und dank der telefonischen Anlaufstation Medphone geht es nicht mehr gar so hektisch zu und her. Doch die Stabilität ist gefährdet: «Die Kollegen in Konolfingen konnten den Notfalldienst nicht mehr selber organisieren, deshalb haben sie sich uns im Aaretal angeschlossen.» Die Engpässe betreffen also schon vergleichsweise gut erschlossene Landstriche und nicht mehr bloss abgelegene Täler. Dort seien Gruppenpraxen sowieso eine Utopie, ist Schafroth überzeugt. Zwar könnten Ärztinnen mit Kindern so wenigstens wieder Teilzeit arbeiten. Schafroth zweifelt aber an der Auslastung von Gruppenpraxen in der Peripherie. Zugleich erhöhe die Teilzeitarbeit die Arbeitsleistung insgesamt nicht.

Spannend und persönlich

An beruflichen Herausforderungen fehlt es Hausärzten nicht. Von der Bagatelle bis zum Notfall erlebt Schafroth in seiner Praxis die ganze Palette. Vor einigen Tagen stellte er bei einem über Müdigkeit klagenden Patienten einen subakuten Herzinfarkt fest: «Sein Leben hing an einem Faden.» Die Ambulanz habe den Mann direkt in der Praxis abgeholt. Kürzlich sei er mit mehreren «Stents» in den Herzkranzgefässen, aber munter, in die Sprechstunde gekommen.

Die persönliche Beziehung zeichnet den Umgang zwischen Arzt und Patient aus. Der Kuchen im Karton neben den Reagenzien im Kühlschrank zeigt es exemplarisch. Schafroth erhielt ihn am Morgen von einem Patienten.


Autor:in
Christoph Aebischer / Berner Zeitung BZ
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Erstellt: 25.04.2012
Geändert: 25.04.2012
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