- Kultur
Münsingen - "Münsige links", ein Kulturerbe
Die Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte hat einen informativen und reich illustrierten Kunstführer zum Psychiatriezentrum Münsingen (PZM) herausgegeben.
In der näheren und weiteren Umgebung sprachen die Leute meist nur von «Münsinge links», der Volksmund kreierte gar die surreal anmutende Bezeichnung «Hawaii» für die Anstalt, die vielen im Dorf lange unheimlich und fremd erschien. «Einen roten Ziegelbau (...) in U-Form, mit vielen Türmen und Türmchen», erwartet den Besucher bis heute. Vom ersten Stock des Zentralbaus überblickt er «einen grossen Hof, dessen Rasenflächen von Wegen gleichmässig zerschnitten wurden. Darin erhob sich das Kasino, rechts war der Männerflügel, links der Frauenflügel.»
Der Schriftsteller Friedrich Glauser (1896–1938), Münsingens wohl bekanntester Patient, verarbeitete die Erlebnisse seiner zahlreichen, insgesamt fast fünf Jahre dauernden Aufenthalte in der Münsinger Anstalt im Kriminalroman «Matto regiert».
Im März 1895 hatte die Irrenanstalt Münsingen mit 500 Betten ihren Betrieb aufgenommen; sie galt von Anfang an als innovativ und sollte die 40 Jahre vorher eröffnete Waldau entlasten, die hoffnungslos überfüllt war.
An der Symmetrie gesunden
Der ausführende Architekt Adolf Tièche kombinierte aus pragmatischen Gründen das sonst getrennte Korridor- und das Pavillonsystem. Geometrische Harmonie diente als Sinnbild für eine «Heilanstalt für heilbare Geisteskranke»: Das Konzept sah eine streng symmetrische Anlage vor, die in ihrer Axialität auf das Schloss Münsingen ausgerichtet war. Erklärtes Ziel der Bauherren war es, der in eine ebenfalls symmetrisch konzipierte Parkanlage eingebettete Gebäudegruppe durch «Gliederung und Farbigkeit» einen ländlichen Charakter zu verleihen. Erst auf Initiative des ersten Direktors wurde nachträglich ein «Casino» genannter Versammlungssaal erbaut, mit Empore und «chorartigen, dekorativ verglasten Dreifachfenstern». Die opulente Ausstattung wurde 2007 restauriert, die Farbfassung teils ergänzt.
«Der städtebauliche und architektonische Wert der Anlage», bilanzieren die Autoren des anschaulich verfassten Kunstführers, «der hervorragende Erhaltungszustand der Gebäude und nicht zuletzt die Qualität der zeitgenössischen Interventionen lassen das ,Psychiatriemuseum Münsingen schweizweit als einzigartig erscheinen.»
Auch die diversen Namenswechsel sind beredter Ausdruck des veränderten Zeitgeistes und des Bemühens, dem Ort das Stigma einer gesellschaftlichen Randzone zu nehmen. Am Anfang war der Gebäudekomplex eine «Irrenanstalt», 1930 wurde er in «Heil- und Pflegeanstalt» umgetauft, ab 1967 hiess er «Psychiatrische Klinik», und seit dem Jahr 2000 ist die Bezeichnung «Psychiatriezentrum» korrekt. Nicht zuletzt werden auch die Künstler unter den Patienten gewürdigt. Wer hat gewusst, dass 1940 das polnische Ballettidol Vaslav Nijinski nur noch als Schatten seiner selbst für kurze Zeit in Münsingen war, «klein, stämmig, fett geworden, völlig stumm»? Und der Rebknecht und Erfinder Heinrich Anton Müller hat in den 24 Jahren seiner Internierung an Jean Tinguely und Bernhard Luginbühl erinnernde Maschinen aus Abfallmaterialien geschaffen, die ihn heute als «Pionier der kinetischen Kunst» ausweisen.
Die Buchvernissage findet am Mittwoch, 20 Januar, 17.15 Uhr im Casino PZM Münsingen statt. Der von Michael Gerber, Hans Maurer und Sarah Pfister verfasste Führer ist vor Ort, im Buchhandel und bei der GSK erhältlich.
www.gsk.ch
Der Schriftsteller Friedrich Glauser (1896–1938), Münsingens wohl bekanntester Patient, verarbeitete die Erlebnisse seiner zahlreichen, insgesamt fast fünf Jahre dauernden Aufenthalte in der Münsinger Anstalt im Kriminalroman «Matto regiert».
Im März 1895 hatte die Irrenanstalt Münsingen mit 500 Betten ihren Betrieb aufgenommen; sie galt von Anfang an als innovativ und sollte die 40 Jahre vorher eröffnete Waldau entlasten, die hoffnungslos überfüllt war.
An der Symmetrie gesunden
Der ausführende Architekt Adolf Tièche kombinierte aus pragmatischen Gründen das sonst getrennte Korridor- und das Pavillonsystem. Geometrische Harmonie diente als Sinnbild für eine «Heilanstalt für heilbare Geisteskranke»: Das Konzept sah eine streng symmetrische Anlage vor, die in ihrer Axialität auf das Schloss Münsingen ausgerichtet war. Erklärtes Ziel der Bauherren war es, der in eine ebenfalls symmetrisch konzipierte Parkanlage eingebettete Gebäudegruppe durch «Gliederung und Farbigkeit» einen ländlichen Charakter zu verleihen. Erst auf Initiative des ersten Direktors wurde nachträglich ein «Casino» genannter Versammlungssaal erbaut, mit Empore und «chorartigen, dekorativ verglasten Dreifachfenstern». Die opulente Ausstattung wurde 2007 restauriert, die Farbfassung teils ergänzt.
«Der städtebauliche und architektonische Wert der Anlage», bilanzieren die Autoren des anschaulich verfassten Kunstführers, «der hervorragende Erhaltungszustand der Gebäude und nicht zuletzt die Qualität der zeitgenössischen Interventionen lassen das ,Psychiatriemuseum Münsingen schweizweit als einzigartig erscheinen.»
Auch die diversen Namenswechsel sind beredter Ausdruck des veränderten Zeitgeistes und des Bemühens, dem Ort das Stigma einer gesellschaftlichen Randzone zu nehmen. Am Anfang war der Gebäudekomplex eine «Irrenanstalt», 1930 wurde er in «Heil- und Pflegeanstalt» umgetauft, ab 1967 hiess er «Psychiatrische Klinik», und seit dem Jahr 2000 ist die Bezeichnung «Psychiatriezentrum» korrekt. Nicht zuletzt werden auch die Künstler unter den Patienten gewürdigt. Wer hat gewusst, dass 1940 das polnische Ballettidol Vaslav Nijinski nur noch als Schatten seiner selbst für kurze Zeit in Münsingen war, «klein, stämmig, fett geworden, völlig stumm»? Und der Rebknecht und Erfinder Heinrich Anton Müller hat in den 24 Jahren seiner Internierung an Jean Tinguely und Bernhard Luginbühl erinnernde Maschinen aus Abfallmaterialien geschaffen, die ihn heute als «Pionier der kinetischen Kunst» ausweisen.
Die Buchvernissage findet am Mittwoch, 20 Januar, 17.15 Uhr im Casino PZM Münsingen statt. Der von Michael Gerber, Hans Maurer und Sarah Pfister verfasste Führer ist vor Ort, im Buchhandel und bei der GSK erhältlich.
www.gsk.ch
Autor:in
Alexander Sury, Der Bund
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Erstellt:
13.01.2010
Geändert: 13.01.2010
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