- Kultur
Münsingen - Wenn Reich und Arm gemeinsam auf den Tod warten
Junge mimen Alte: Das Jugendtheater inszeniert "Seniorenresidenz", eine Tragikomödie nach dem Theaterstück "Lenin" von Markus Köbeli.
Was, wenn dereinst die Jahre den Horizont immer stärker einengen? Die Vorstellung, im Altersheim auf den Tod zu warten, ängstigt. Ausser man resigniert – wie die Leute in der luxuriösen Seniorenresidenz, in der plötzlich ein Bewohner namens Lenin Pfister aufkreuzt. Seinen Vornamen gab ihm der Vater. Der war Kommunist, ein Arbeiter und Kämpfer. Arbeiter war auch der alte Pfister, nicht aber ein Kämpfer. Nach über 30 Jahren an der Stanzmaschine der Firma Rigler wurde er wegrationalisiert. Jetzt, im Alter, will der Mann erleben, wie es sich anfühlt, reich zu sein. Deshalb tritt er in eine Luxus-Seniorenresidenz ein. Dort trifft er auf Herrn Rigler, seinen ehemaligen Chef, der ihn damals vor die Tür gestellt hat.
Mit dem Ex-Chef im Heim
Rigler gehört die Luxusresidenz, in der Pfister höchstens 150 Tage bleiben kann. Länger reicht sein Erspartes nicht. Tim Muster vom Jugendtheater Münsingen mimt Lenin Pfister. Grossartig, wie er diese Mischung aus Unterwürfigkeit und Selbstbewusstsein hinkriegt. Pfister trinkt und spielt nicht, kennt seine Grenzen. Er benimmt sich seinem ehemaligen Chef gegenüber korrekt, lehnt aber ab, mit ihm Karten zu spielen. Die Nerven verliert der Kommunistensohn nur einmal: als er feststellt, dass sein Aufenthalt in der Residenz gefährdet ist. Herr Rigler bewahrt Haltung, obschon er todkrank ist. Aber auch das trägt er mit Fassung. Raphaël Oberson mimt Rigler. Er zeigt den schrittweisen Zerfall des Fabrikherrn beeindruckend, überzeichnet nie. Die Schauspieler des Jugendtheaters sind zwischen 15 und 20 Jahre alt. Hans Abplanalp führt Regie. Er hat das Stück auf Berndeutsch übersetzt und den Jugendlichen vorgeschlagen. Diese hätten zuerst erschrocken reagiert, später begeistert zugesagt und sich in das Stück vertieft. Das Resultat ist beachtlich. Diese Jungen mimen Alte, ohne der Versuchung zu erliegen, Charaktere und Szenen zu karikieren.
Haltung bewahren
Haltung ist auch das Motto von Riglers Frau (Selina Etzensberger). Sie bemitleidet Pfister und will ihm helfen. Dafür nimmt sie nach Jahren erstmals wieder mit ihrem Mann das Gespräch auf. Ergebnislos. Pfisters Ersparnisse schwinden, so auch die ihm verbleibenden Tage im Heim. Zocken an der Börse hilft nur kurzfristig. Die Kulisse in der Seniorenresidenz bleibt immer gleich. Licht und Schatten sowie Gitarre- und Klavierklänge von Jannick Baumann verleihen den beklemmenden Szenen Leben. Die Schauspieler stellen Monotonie und Zerfall glaubwürdig dar. Dabei mag sich auch dem Publikum die Frage aufdrängen, wie Alter und Altern dereinst aussehen werden.
[i] Seniorenresidenz: Aula Rebacker, Münsingen. Premiere: Fr, 21. März, 20 Uhr. Weitere Vorstellungen: Sa, 22. 3., um 20 Uhr, So, 23. 3., um 17 Uhr; Di, 25. 3., um 20 Uhr. Vorverkauf: Spar + Leihkasse Münsingen und hans.abplanalp@gmx.ch.
Erstellt:
20.03.2014
Geändert: 20.03.2014
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