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Thalmatt und "neue Zahlen": Heftige Kritik an Münsingens Ortsplanung

Der Münsinger Gemeinderat hat vor Kurzem die Unterlagen zur Ortsplanungsrevision (OPR) zur Vorprüfung beim Kanton eingereicht. Nun meldet sich SVP-Münsingen-Präsident Henri Bernhard mit scharfer Kritik. Der zuständige Gemeinderat Andreas Kägi (FDP) kontert. 

Angst vor einer Wohnüberbauung: SVP-Münsingen-Präsident Henri Bernhard fürchtet um die Zukunft der Thalmatt in Tägertschi. (Bild: Sara Tretola)

„Nach Einsichtnahme in die Unterlagen zur OPR Münsingen 2030, welche zur Vorprüfung eingereicht worden sind, muss ich das Vorgehen des Gemeinderates auf das Schärfste kritisieren“, schreibt Bernhard an die Redaktion von BERN-OST. Die für die Mitwirkung zur Verfügung gestellten Akten entsprächen – im besten Fall – nur der halben Wahrheit. Das Verfahren an sich sowie die Würdigung der Mitwirkungseingaben seien „in krasser Art und Weise irreführend“.

 

Bernhard: "Neue Zahlen"

Drei Punkte kritisiert Bernhard. Zwei davon betreffen Zahlen: Erstens das prognostizierte Verkehrswachstum von bis zu 31 Prozent, zweitens das prognostizierte Bevölkerungswachstum von 10.2 Prozent. „Diese Zahlen waren mir neu“, sagt Bernhard dazu auf Nachfrage.

 

Im Falle des Verkehrswachstums sei im Verlauf der Mitwirkung gar nie eine Zahl genannt worden. „Es hiess immer nur, das Verkehrswachstum werde von der ‚Dreierlösung Verkehr’ aufgefangen“, sagt Bernhard. Diese beinhaltet die Entlastungsstrasse Nord (ESN), die durchgehende Industriestrasse und die Sanierung der Ortsdurchfahrt. 

 

Bernhard: "Willensbildung tangiert"

„Das durch die OPR ausgelöste Verkehrswachstum konnte dem Richtplan Mobilität in der Version für die Mitwirkung nicht klar entnommen werden“, sagt Bernhard. Es hätte durch Vergleiche von verschiedenen Darstellungen und eigene Berechnungen selbst hergeleitet werden müssen. „Die Willensbildung der Bevölkerung wurde mit diesem Vorgehen offensichtlich tangiert“, schreibt Bernhard.

 

Zudem sei das durch die letzte OPR ausgelöste Verkehrswachstum bereits mit der ESN gerechtfertigt worden. „Das heisst konkret, dass die ESN das bereits ergangene – und mittlerweile übertroffene – Bevölkerungs- und Verkehrswachstum gemäss OPR 2010 bewältigen sollte“, so Bernhard. Die Lösung von damals, welche jedoch bisher nicht umgesetzt wurde, werde nun ein zweites Mal verkauft.

 

War es Absicht?

Bezüglich dem Bevölkerungswachstum sagt Bernhard, bisher sei von 8.9 Prozent die Rede gewesen. Die Zahl findet sich im Bericht zur „Siedlungsentwicklung nach innen“ vom Mai 2019, welcher bei der Planung als Grundlage diente. „Im Richtplan Mobilität wird nun aber ein Bevölkerungswachstum von 10.2 Prozent vorhergesagt“, so Bernhard.

 

„Ich kann mir aus politischer Sicht weder vorstellen, dass 31 Prozent Verkehrswachstum erwünscht sind, noch, dass bei Kenntnis dieser zwei Eckwerte die Mitwirkungseingaben der Bevölkerung generell gleichlautend gewesen wären“, schreibt Bernhard. Und: „Das Verkehrswachstum in Prozenten wurde für die Mitwirkung wohl nicht in den Richtplan aufgenommen, weil klar war, dass diese Zahlen Widerstand hervorrufen würden.“

 

Info-Brief kam schlecht an

Der dritte Punkt, den Bernhard kritisiert, ist die Planung zum Areal Thalmatt. Dabei bezieht er sich auf einen von Gemeinderat Andreas Kägi (FDP) unterzeichneten Informationsbrief, welcher vor einigen Tagen an die Einwohner*innen des Ortsteils Tägertschi versandt wurde. Der Inhalt des Briefs sei „krass irreführend“, so Bernhard.

 

Darin schreibe Kägi, dass gemäss dem alten Baureglement von Tägertschi die Wohnnutzung in der Thalmatt unbeschränkt wäre, dies aber weder der Gemeinderat noch die Mitwirkenden wollten. Was davon stimme sei, „dass ‚niemand’ in Tägertschi unbeschränktes Wohnen will.“ Beim Rest sei das Gegenteil der Fall.

 

"Gemeinderat widerspricht Versprechen"

Erstens sei gemäss dem alten Baureglement nur auf weniger als der Hälfte des Areals überhaupt Wohnnutzung zulässig gewesen und auf der anderen Hälfte seien die Baumöglichkeiten durch andere Vorgaben derart eingeschränkt gewesen, dass keine unbegrenzte Wohnnutzung möglich gewesen sei. Zweitens würden mit den neuen Regelungen der Wohnanteil und die Nutzungsmöglichkeiten gegenüber der bisherigen baurechtlichen Ordnung gesteigert. „Das widerspricht dem, was man der Bevölkerung von Tägertschi versprochen hat, nämlich, dass der Ortsteil seinen Dorfcharakter behalten und nicht zur Baulandreserve Münsingens werden soll“, sagt Bernhard.

 

Er kritisiert auch, dass in der Mitwirkung zwar seiner Ansicht nach nur ablehnende Rückmeldungen zur Planung in der Thalmatt eingegangen seien, der Gemeinderat diese aber nicht berücksichtigt habe.

 

Stähli bläst ins selbe Horn

Mit ähnlicher Kritik wie Bernhard meldet sich auch Paul Stähli vom „Komitee Zukunft mit Vernunft“, welches zuletzt im Zusammenhang mit dem abgebrochenen Überbauungsprojekt auf dem Areal der jetzigen Schrebergärten in der Underrüti in Erscheinung trat. Neben weiteren Kritikpunkten hebt Stähli ebenfalls die von Bernhard beanstandeten Zahlen hervor und äussert sich ablehnend dazu.

 

In Sachen ZPP Thalmatt stellt sich Stähli mit denselben Argumenten wie Bernhard gegen die Behauptung aus dem Informationsschreiben der Gemeinde, dass gemäss bestehendem Baureglement das Wohnen in der Thalmatt unbeschränkt möglich sei. „Dies stimmt nicht, da werden aus Unkenntnis oder vorsätzlich Unwahrheiten verbreitet“, so Stähli.

 

Ähnlich ist auch – wenn auch nicht in Bezug auf die Thalmatt – Stählis an zwei Stellen geäusserte Kritik an der Art und Weise, wie die Eingaben aus der Bevölkerung behandelt worden sind.

 

Kägi: "Zahlen sind nicht neu"

Der für die OPR verantwortliche Gemeinderat Andreas Kägi (FDP) verneint in seiner schriftlichen Stellungnahme zu den genannten Vorwürfen, dass die in Frage stehenden Zahlen neu seien. Diejenige zum Verkehrswachstum stamme aus dem „Kurzbericht Sanierung Ortsdurchfahrt und Entlastungsstrasse Nord Münsingen“. „Der Bericht von 2016 ist seit mehreren Jahren auf der Website der Gemeinde Münsingen aufgeschaltet“, schreibt Kägi.

 

Beim Bevölkerungswachstum sei es so, dass die Zahl im Richtplan Mobilität „aus Gründen der Vergleichbarkeit“ mit derselben Zahlengrundlage lediglich auf eine längere Periode hochgerechnet sei, als diejenige in der Berichterstattung zur Siedlungsentwicklung nach innen (SEin) von 2019 und darum höher ausfalle. Der SEin-Bericht sei ausserdem „vom Parlament (und damit auch von Parlamentarier Henri Bernhard) im Juni 2019 zur Kenntnis genommen“ worden.

 

"Haltlos und wider besseres Wissen"

Dementsprechend seien auch die Vorwürfe, dass der Gemeinderat die beiden Zahlen absichtlich noch nicht genannt habe, haltlos und erfolgten „wider besseres Wissen“.

 

In Sachen Entlastungsstrasse entgegnet Kägi, dass parallel zur Ortsplanung 2010 der Richtplan Verkehr 2009 erlassen worden sei, in welchem die ESN bereits enthalten war. Damit sei der Gemeinderat verpflichtet gewesen, das Projekt ESN einer Lösung zuzuführen. „Im Herbst 2017 wurde der Finanzentscheid für die ESN vom Stimmvolk genehmigt. Die ESN ist damit nicht Teil der jetzt laufenden OPR“, so Kägi.

 

Gemeinderat entschuldigt sich

Was den Informationsbrief zur Thalmatt angeht, sagt Kägi, der Vorwurf einer absichtlichen Falschinformation sei „unhaltbar und falsch“. „Der Satz im Informationsschreiben ist aber tatsächlich etwas unglücklich formuliert und dafür entschuldigen wir uns“, schreibt Kägi.

 

Fakt sei, dass das Areal Thalmatt aus drei Parzellen bestehe. Zwei davon seien nach altem Baureglement von Tägertschi der Mischzone zugeordnet, in der eine unbeschränkte Wohnnutzung möglich wäre. Eine Parzelle sei der Arbeitszone zugeordnet, in der Wohnungen nur beschränkt zulässig seien. Allerdings bestehe auf dieser Parzelle ein Wohnhaus mit drei Wohnungen, die Besitzstand hätten. „Insgesamt wäre gemäss der heute bestehenden Zonenordnung geschätzt bis zu 75 Prozent Wohnnutzung denkbar (nicht aber 100 Prozent)“, so Kägi.

 

Thalmatt schon lange eingezont

Auch die Behauptung, dass die Gemeinde ihr Versprechen gegenüber der Bevölkerung von Tägertschi breche, weist Kägi zurück. Das Gebiet Thalmatt sei bereits vor vielen Jahren von der Bevölkerung von Tägertschi selbst eingezont worden und stelle seit da eine Bauzonenreserve des Ortsteils Tägertschi dar. Im Rahmen der aktuellen Revision werde die Bauzone Thalmatt nicht vergrössert. „Das Versprechen im Rahmen der Fusion war klar darauf ausgerichtet, dass die zukünftige Entwicklung der Gemeinde Münsingen nicht in Tägertschi oder Trimstein stattfinden soll. Dieses Versprechen hält der Gemeinderat in der laufenden Revision klar ein“, schreibt Kägi.

 

Auch der Nichtberücksichtigung der Eingaben aus der Bevölkerung widerspricht Kägi. „Aufgrund der Mitwirkung wurde das minimal geforderte Mass der Nutzung in der ZPP AJ Thalmatt um rund 15 Prozent reduziert“, schreibt er. Zudem hätte sich „die grosse Mehrheit der Mitwirkenden“ für eine differenzierte Entwicklung der verschiedenen Ortsteile ausgesprochen und die Strategie des Gemeinderats, im Rahmen derer der Ortsteil Tägertschi dörflich bleiben solle, gestützt.

 

IG und Petition

Bernhard ist derzeit dabei, eine gemäss seinen Angaben politisch breit abgestützte Interessensgemeinschaft in Sachen Thalmatt zu gründen. „Wir werden eine Petition lancieren und uns für die gemachten Versprechen stark machen“, sagt Bernhard. Zu den Zahlen von Bevölkerungs- und Verkehrswachstum wolle er sich mit Vorstössen einsetzen.


Autor:in
Isabelle Berger, isabelle.berger@bern-ost.ch
Nachricht an die Redaktion
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Erstellt: 12.06.2020
Geändert: 16.06.2020
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