• Region

Psychiatriezentrum Münsingen: «Streitereien, schwache Führung und fehlende Kontrolle»

SRF ist dank dem Öffentlichkeitsprinzip an zwei Berichte über das Psychiatriezentrum Münsingen PZM gekommen. Diese zeigen offenbar «Missstände, die bislang nicht bekannt waren». Zeitweise, so kam jetzt aus, hätten derart desolate Zustände geherrscht, dass Patient:innen gefährdet wurden.

Psychiatriezentrum Münsingen: Seit 2022 in den Schlagzeilen - ohne Ende? (Foto: PZM)

«Interne Streitereien, schwache Führung und fehlende Kontrolle»: Das ist laut einem Bericht von SRF nur die eine Seite der teils frappanten Missstände im Psychiatriezentrum Münsingen PZM.

 

Seit drei Jahren kommt das Zentrum, eine der grössten kantonalen Psychiatriekliniken der Schweiz mit jährlich 3200 Patient:innen, nicht mehr aus den Schlagzeilen. Jetzt habe ein Expertenbericht gezeigt: «Das ganze Ausmass der Missstände wurde bisher nicht publik.»

 

Sektenähnliche Gruppierungen, Zwangsmassnahmen

Missstände, die bereits seit längerem bekannt sind, weckten Zweifel an der professionellen Integrität der Klinik und ihrer Leitung: Immer wieder gab es Berichte über sektenähnliche Gruppierungen von Mitarbeitenden oder Zwangsmassnahmen. (BERN-OST berichtete).

 

Gemäss einem Kurzbeitrag von «Info3» hätten zudem Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitenden stattgefunden und seien «teils sogar in den Räumen der Klinik intensiv gepflegt» worden.

 

Ärztliche Verordnungen missachtet

Die jüngsten Enthüllungen von SRF zeigen jetzt, dass offenbar nicht nur organisatorisch einiges im Argen lag, sondern dass zeitweise sogar «die Patientensicherheit gefährdet» gewesen sei.

 

Offenbar seien Pflegende eigenmächtig mit fürsorgerischen Zwangsmassnahmen umgegangen und hätten ärztliche Verordnungen missachtet. Das habe für die «Patientensicherheit eine erhebliche Gefahr» dargestellt und sei «kritisch für die Behandlungsqualität».

 

Psychedelische Drogen und Ketamin

Zudem sei offenbar der damalige ärztliche Direktor «fasziniert von der Psycholyse» gewesen. Er habe «unter dem Radar» und ohne saubere Dokumentation psychedelische Drogen wie Psilocybin (halluzinogene Pilze) und MDMA («Ecstasy») in der Behandlung eingesetzt.

 

Unter anderem hätten die Experten in ihrem Bericht offenbar einen Fall aufgedeckt, bei dem eine Patientin mit Ketamin behandelt wurde. Das stelle eine «potenziell gefährliche Behandlung» dar: Das Narkosemittel Ketamin, das halluzinogen wirkt, kann zwar tatsächlich bei chronischen Depressionen eingesetzt werden. Die Patientin habe jedoch unter einer bipolaren Störung gelitten.

 

«Zu keinem Zeitpunkt zu Schaden gekommen»

Das Psychiatriezentrum, so berichtet SRF, habe auf Anfragen nur schriftlich geantwortet: «Laut Untersuchungsbericht gab es keine Hinweise auf die Anwendung nicht zugelassener Behandlungsmethoden oder Substanzen», heisst es vonseiten PZM. Und weiter: «Der Untersuchungsbericht der Experten hält fest, dass Patient:innen zu keinem Zeitpunkt zu Schaden gekommen sind.» 

 

All diese teils gravierenden Missstände habe SRF nur dank hartnäckigen Nachforschungen aufgedeckt: Das PZM habe die beiden von unabhängigen Experten verfassten Berichte nur unter dem nachdrücklichen Hinweis auf das Öffentlichkeitsprinzip herausgegeben.

 

Dieses Zögern ist allerdings nicht weiter erstaunlich: «Die Berichte zeichnen auf fast 120 Seiten ein desolates Bild der Klinik», heisst es im SRF-Beitrag.

 

PZM hätte Probleme melden müssen

Laut bernischem Spitalversorgungsgesetz wäre das PZM verpflichtet, die Gesundheitsdirektion über Probleme zu informieren. Laut Recherchen von SRF Investigativ und dem Regionaljournal Bern Freiburg Wallis sei aber die bernische Gesundheitsdirektion nicht vollumfänglich über die Missstände im Bild gewesen.

 

Öffentlichkeit soll informiert werden

Auch dazu habe das PZM nur schriftlich Stellung genommen: «Seit Februar 2022 hat das PZM den Kanton Bern aktiv und transparent über die Untersuchung informiert.» Man sei sich der hohen Sensibilität der Thematik von Anfang an bewusst gewesen und habe nichts zu verheimlichen versucht.

 

Das wird sich zeigen. Denn mittlerweile, so schliesst SRF den Bericht über die jüngsten Enthüllungen, habe sich die Geschäftsprüfungskommission des Grossen Rates des Kantons Bern eingeschaltet: «Sie hat die Aufsicht über die Regierung und will demnächst die Öffentlichkeit informieren.»  


Autor:in
Claudia Weiss, claudia.weiss@bern-ost.ch
Nachricht an die Redaktion
Statistik

Erstellt: 11.01.2024
Geändert: 11.01.2024
Klicks heute:
Klicks total: