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Rössli Richigen: Ein Restaurant! Und Wohnungen? Und ein Lädeli?

Das Restaurant Rössli Richigen lahmt seit Monaten. Es soll wieder in Schwung gebracht werden, und alle waren um Mithilfe gebeten: An einem Mitwirkungsanlass sammelten rund 50 Bewohner:innen Ideen und Wünsche. Dabei kam eine ganze Palette von Vorschlägen zusammen. Diese werden jetzt weiterverarbeitet.

Das Rössli und sein Wirt: Kann es wieder zum Laufen gebracht werden? (Fotos: cw)
Wirt Oski und sein Sohn Athavan vor dem Rössli-Garten. (Foto: cw)
Am Tisch mit Raumplaner Raphael Dettling (mit Stift) füllten sich die Zettel rasch. (Foto: cw)
Was hätte noch Platz in den Gebäuden und auf dem Areal: Ein Lädeli? Alterswohnungen? Ein Spielplatz? (Foto: cw)
So wie das Rössli Richigen gegenwärtig aufgestellt ist, hinkt es deutlich, es muss etwas geschehen. (Foto: cw)

Es war der erste heisse Sommerabend, und später würde an der Fussball-EM Portugal gegen Tschechien spielen. Dennoch füllte sich der Saal im Restaurant Rössli Richigen schnell. Schon vor 19 Uhr war es rappelvoll, eng quetschten sich die Richiger:innen an die Tische, und eilig wurden mehr Stühle herbeigeschafft. 55 Personen aus dem Dorf zählte Rössli-Wirt Malaichchelvan Arunasalam zuletzt.

 

Alle waren gespannt, was das Treffen bringen würde, allen voran der Wirt selbst, bei den Gästen als Oski bekannt: Es muss etwas gehen mit dem Rössli. Gerne möchte er vor allem «noch mehr Leute aus dem Dorf empfangen», sagte er vor dem Anlass: Es sei nicht lustig, neben den fertiggekochten Gerichten zu sitzen und zuzuschauen, wie Pizzakuriere vor dem Restaurant vorbeifahren, während seine Tische leer bleiben.

 

Sie kamen, um zu helfen

Das sahen offenbar auch die Richiger:innen so. Fröhlich plaudernd verteilten sie sich an den Tischen, viele von ihnen 50plus oder ein ganzes Stück älter, aber auch etliche jüngere Paare und Personen waren dabei. Sie alle waren gekommen, um Ideen zu sammeln, mitzuhelfen und gemeinsam ihr «Rössli» zu retten.

 

Ob sie vor allem das angekündigte Apéro lockte? «Nein, nein, überhaupt nicht», winkten mehrere lachend ab. Nein, mitdenken und mitwirken wollten sie: Sie waren gekommen, damit das «Rössli» nicht gehen muss. Das Apéro sei nur noch das Tüpfelchen auf dem I.

 

Ein Restaurant, aber auch anderes...

Für die Architekten Adrian Wiesmann und Daniel Egger, beide spezialisiert auf denkmalgerechte Umbauten, war es eine besondere Veranstaltung: Üblicherweise präsentieren sie an Gemeindeanlässen ein detailliert ausgearbeitetes Projekt. An das Mitwirkungs-Treffen im Rössli Richigen kamen sie mit dem sprichwörtlichen weissen Blatt Papier: Die Leute aus dem Dorf sollten sammeln, was sie sich überhaupt auf diesem Areal wünschen.

 

Als Zielvorgabe gab Gemeindepräsident Niklaus Gfeller nur so viel bekannt: Das lahmende Restaurant Rössli soll wieder zum Laufen gebracht werden. Ein Restaurant allein sollte aber nicht die Lösung sein, auf das Areal müsse mehr. Dennoch lautete das Motto des Abends, zu dem die Gemeinde geladen hatte, ganz einfach «Rössli Hü».

 

Unzählige Vorschriften sind zu bedenken

Als Raumplaner Kevin Stucki von der Panorama AG den Richtplan Siedlungen präsentierte, bekamen die Anwesenden eine Ahnung davon, was bei einem solchen Projekt alles bedacht werden muss.

 

Von Bauzonenplänen sprach Stucki, von Verkehr und Naherholung, von geschützten Bäumen auf der Hostett, historischen Wegen und von «erhöhtem Planungsbedarf im Ortsbildschutzgebiet». Aber auch von Risikobereichen aufgrund von Hochwasser, von Vorschriften rund um die Energieversorgung und von Planerlassverfahren.

 

Die Frage war: Was wollen die Leute ?

Solche Vorschriften sind für den Architekten Adrian Wiesmann Alltag. Er und sein Kollege Daniel Egger hätten deshalb viele Ideen für das denkmalgeschützte Haus, sagte er.

 

Beide sind auf alte Bauten spezialisiert, heisst, sie können abschätzen, was sich realisieren lässt, und arbeiten eng mit der Denkmalpflege zusammen. «Aber wir wollen wissen, welche Bedürfnisse von eurer Seite da sind.» Zustimmendes Nicken im Saal, dafür waren alle da. Und dann ging es zur Ideensammlung: 45 Minuten Zeit, um das «Rössli» vielleicht zu retten.

 

Tatsächlich sprudelten die Ideen

Emsiges Rücken und Rutschen, die grossen Plakate mit dem Grundriss des Rössli-Areals wurden verteilt: Tischweise sollten die Gäste zusammentragen, wie ihr «Wunsch-Areal» aussehen soll. Und zwar inklusive grossem asphaltierten Parkplatz hinter dem Haus, inklusive Hostett dahinter, inklusive verschachtelten Anbauten.

 

An jedem Tisch half ein Architekt, ein Raumplaner oder jemand von der Bauabteilung der Gemeinde beim Gedankensammeln, unter anderen die neue Leiterin der Bauabteilung Worb Elke Bergius: Sie gaben als Fachleute Auskunft, und sie warfen Anregungen in die Runde, wenn es mal stockte. Waren anfangs noch ein paar fragende Blicke zu sehen, wurde es rasch angeregt. Und laut. Die Szenerie erinnerte an ein Familienfest, an dem sich Verwandte treffen, die einander lange nicht gesehen und viel zu besprechen hatten.

 

Gedanken von Gartenbeiz bis Parkplatz

Der Tisch mit Raumplaner Raphael Dettling kam zügig voran, schnell hatte die Gruppe auf den farbigen Zetteln erste Ideen notiert. Eifrig diskutierten alle miteinander, überlegten, verwarfen Ideen und brachten neue Vorschläge. Auch an anderen Tischen flogen die Gedanken nur so, immer mehr farbige Zettelchen klebten auf den verschiedenen Plänen, die Gedanken schweiften in alle Richtungen.

 

«Saal für Vereine» stand auf einem der farbigen Zettel, «Boden entsiegeln» auf einem anderen, aber auch «Gartenbeiz» und «Spielflächen» und «Kita» wurden genannt, «Tiny Houses», «Camper-Stellplatz» oder «öffentlicher Parkplatz». Und wo sich die Zettel nicht so schnell füllten, debattierten die Beteiligten umso eifriger: Einige wussten genau, was dem Areal guttäte, und erklärten das ihren Tischnachbar:innen im Detail.

 

Viel genannt: Wohnen in irgendeiner Form

Nach einer Dreiviertel Stunde war es trotz offener Fenster stickig geworden im Saal, Köpfe und Münder trotz Mineralwasser heissgelaufen. Und dann stellten die Sprecher:innen der Tische ihre Ergebnisse vor: Das Thema Wohnen wurde fast von allen Gruppen genannt – Wohnen für weniger Betuchte, für Generationen oder fürs Alter, Hauptsache Wohnen.

 

Ein Begegnungsort für das Dorf müsste unbedingt sein, auch das kristallisierte sich heraus. Und ein Dorflädeli wäre schön oder ein Bäcker. Oder, falls ein Lädeli nicht rentiert, könnte vielleicht ein «Rüedu» hingestellt werden. Auch «Lift» oder «rollstuhlgängig» wurde mehrmals erwähnt.

 

Das grosse Thema «Saal»

Und immer wieder das Thema «Saal», ein wichtiger Ort für die Gemeinde und für die Vereine. Aber: «Ein Saal im ersten Stock und ein WC im Untergeschoss, verbunden durch eine Treppe um drei Ecken, über die man stolpert?» Architekt Daniel Egger brachte es nach dem Anlass klipp und klar auf den Punkt: «Das kann gar nicht funktionieren.»

 

Auch die guten Energien des schönen alten Gebäudes seien durch den Umbau in den 80er-Jahren verbaut worden. «Wenn das Gebäude wieder eine harmonische Einheit bildet und die Energien fliessen, läuft auch das Restaurant wieder besser», ist Egger überzeugt. In dieser Form jedoch sei die betriebliche Organisation «aus heutiger Sicht eine Fehlplanung, die man gar nicht richtig bespielen kann».

 

Für die einen fängt die Arbeit richtig an…

Ob es den Architekten und Raumplanern gelingen wird, diese Energien wieder in den Fluss und das Rössli zum Laufen zu bringen? Die Plakate mit den gesammelten Ideenzetteln wanderten jedenfalls in eine Kartonrolle. Raphael Dettling nahm sie mit ins Raumplanerbüro, wo sie in den nächsten Monaten weiterverarbeitet werden. «Es ist gut zu spüren, was die Leute wünschen, die hier verwurzelt sind», fand Dettling.

 

Sein Kollege Kevin Stucki doppelte nach: «Jetzt wissen wir, was den Leuten wichtig ist. Damit haben wir eine gute Basis geschaffen, und damit können wir jetzt weiterarbeiten.» Denn für die Fachleute fängt die Arbeit erst an: Sie müssen aussondieren, was realistisch und was machbar ist, und Wünsche und Realität zusammenbringen. «Mindestens drei Jahre» lautet die Schätzung von Architekt Adrian Wiesmann, werde es wohl dauern, bis konkrete Schritte passieren. Auch, was die Kosten anbelangt, wollte er sich nicht einmal ansatzweise festlegen, das hänge von zu vielen Faktoren ab.

 

…für die anderen war sie damit erledigt

Die Leute von Richigen hingegen hatten für diesen Abend ihre Arbeit erledigt. Sie plauderten zufrieden miteinander, während Servicefachfrau Marlies Grunder und Wirt Malaichchelvan Arunasalam eilig Weisswein, Fleisch- und Käseplatten und frisches Brot herbeitrugen. Unterstützt wurden sie tatkräftig von Athavan, dem 15-jährige Wirtssohn. Ob er sich schon einarbeitete, um später das Restaurant zu übernehmen? Der Vater verwarf die Hände, der Sohn schmunzelte und sagte: «Nein, nein, ich beginne im Sommer eine Informatikerlehre.»

 

Vater Arunasalam nickte heftig. Er sei froh, sagte er, das sei viel sinnvoller. Denn trotz engagiertem Einsatz der Bevölkerung an diesem Abend: So schnell wird das Problem Rössli nicht gelöst sein, und es dauert, bis aus dem «Rössli» ein «Hü» wird.


Autor:in
Claudia Weiss, claudia.weiss@bern-ost.ch
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Erstellt: 25.06.2024
Geändert: 25.06.2024
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