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Spitalschliessung: Ein Hausarzt spricht Klartext
Eine Schliessung des Spital Münsingen wird die gesamte Region spüren. Hausarzt Torsten Seifert aus Wichtrach sagt, welche Folgen dies für Ärztinnen und Ärzte sowie für Kranke und ältere Leute hat.
Dr. med. Torsten Seifert hat in den Spitälern Belp, Sonnenhof/Engeried, Inselspital und Burgdorf gearbeitet. Als Hausarzt war er tätig in Muri bei Bern und Oberdiessbach. Seit 2018 führt er die Hausarztpraxis Heimedli in Wichtrach. Seifert ist Präsident des Hausärzte-Vereins Aare-Kiesental Aarchimed.
BERN-OST: Herr Seifert, was sagen Sie zur Medienmitteilung der Insel Gruppe, dass die Spitalschliessung definitiv sei?
Torsten Seifert: Wir Hausärzte waren sehr überrascht und enttäuscht. Einerseits, dass die Initiative der Spitalärzte in Münsingen mit einem Halbsatz abgelehnt worden ist. Dies, obwohl noch ein zweiter Termin vorhanden ist und besteht. Wir hatten fest damit gerechnet, dass der Verhandlungstermin am 1. Mai steht und nicht vorher informiert wird. Wir stehen nach wie vor hinter den Kolleginnen und Kollegen des Spitals Münsingen.
Die Vereinigung der Hausärztinnen und Hausärzte haben am 4. April einen offenen Brief an die Kantonsregierung und die Insel-Gruppe geschickt. Was ist daraus geworden?
Wir haben in der letzten Woche eine kurze, ablehnende Antwort von Regierungsrat Pierre Alain Schnegg in Form eines Briefs erhalten. Wir sind nicht einverstanden, dass dieser davon ausgeht, die Grundversorgung sei gewährleistet, mit oder ohne Spital Münsingen. Herr Schnegg ist in seiner Antwort gar nicht auf unser Schreiben eingegangen. Es wird erwartet, dass wir die Lösung anbieten, ohne vorher befragt zu werden.
Bei der Insel ist die Planung mit dem Beratungsunternehmen Pricewaterhouse Coopers schon fortgeschritten. Da stehen vor allem die Interessen der Insel im Vordergrund, das ist Politik.
Gehen Sie davon, dass die Schliessung definitiv ist?
Wir sind der Meinung, dass der Vorschlag der Ärzteschaft, das Spital zu übernehmen, ein guter Weg wäre, um die Grundversorgung und den Notfall-Dienst sicherzustellen. Wir erwarten vom Kanton und der Insel etwas mehr als Floskeln, dass man künftig zum Insel-Notfall gehen soll.
Es gibt in der Region immer mehr ältere Leute, die behandelt werden müssen. Die Insel soll beantworten, wie die 80-jährigen Seniorinnen und Senioren mit dem ÖV nach Bern in die Insel fahren sollen. In der Theorie sieht das hübsch aus, aber in der Praxis ist es eine massive Einschränkung für diese Leute.
Werden Sie weiter kämpfen?
Wir werden weiter appellieren, dass wir Unterstützung brauchen und dass man unsere Verbände einbezieht, wenn es um zentrale Fragen wie den Bedarf der Grundversorgung geht. Auch an der Demo gestern Samstag vor dem Spital haben wir teilgenommen. Wie deutlich sollen wir noch sagen, dass die Sicherung der Notfallversorgung nur auf dem Rücken der Hausärzte nicht funktionieren kann?
Was würde sich für Sie als Hausarzt ändern, wenn das Spital Münsingen schliesst?
Erstens müssten wir die komplette Notfall-Versorgung mitschultern. In Münsingen sind das 6000 ambulante Notfälle pro Jahr, die sich auf die 35 regionalen Hausärzte verteilen. Das führt zu Qualitätseinbussen und weniger Kapazität in der regulären Sprechstunde. Jeden Tag im Jahr hat ein Hausarzt Notfallbereitschaft, das war schon bisher so. Aber das Spital hat in der Nacht die Telefone übernommen, was uns sehr entlastet hat.
Es kommt auch immer wieder vor, dass wir ausrücken müssen bei Einsätzen in Pflegeheimen oder bei Unfällen. Wenn das Spital schliesst, gehen wir von einer hohen Mehrbelastung für uns Hausärzte aus.
Wie gut werden Notfall-Einsätze vergütet?
1:1 so wie Sprechstundeneinsätze plus eine einmalige Pauschale pro Patient, abhängig vom Zeitpunkt und Wochentag. Aber die Pikettzeit, in der man 24 Stunden zur Verfügung steht, wird gar nicht vergütet. Das muss man einfach machen. Das war bisher so, trotz Münsingen. Jeder Arzt und jede Ärztin hat die Pflicht Notfalldienst zu leisten. Wenn ein Hausarzt in Pension geht, haben wir nach wie vor Probleme eine Nachfolderin oder einen Nachfolger zu finden. Ein Spital in der Nähe war bisher ein Standortfaktor, dieser Vorteil würde künftig wegfallen.
Was würde sich für die Patientinnen und Patienten ändern?
Grundsätzlich muss man sagen, dass das Thema sehr breit diskutiert wird. Ich werde von vielen Patientinnen darauf angesprochen. Sie reagieren mit grossem Unverständnis auf die Schliessung. Sie schätzen das Spital, viele können sich nicht vorstellen, wie sie die Insel erreichen. Die Wege werden länger. Es wird so sein, dass wirkliche Notfälle nicht mehr nach Münsingen ausweichen können. Ich bin täglich in Kontakt mit Spezialisten im Spital oder Röntgenärztinnen. Das ist praktisch und hat bessere Effizienz als der Kontakt mit der Insel.
Die Insel begründet die Schliessung wegen wirtschaftlichen Faktoren und fehlendem Personal.
Grundsätzlich ist es so, dass ein Mangel an Fachkräften herrscht. Auch in Thun und in der Umgebung, das ist klar. Die Frage ist, was passiert mit dem Personal aus Münsingen? Das Inselspital ist nicht für einen wohlwollenden Umgang mit dem Personal bekannt. Der Plan, dass die Insel die Leute 1:1 übernehmen kann wird nicht aufgehen. Ein grosser Teil wird in Privatspitäler oder in Pflegeheime wechseln.
Es kann auch sein, dass viele aus dem Beruf aussteigen. Das wird nicht funktionieren, diese im Inselspital aufzunehmen. Ein Grossteil möchte bestimmt in Münsingen bleiben.
Erstellt:
30.04.2023
Geändert: 30.04.2023
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