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Sibylle Schwegler: "Auch die Alteingesessenen müssen sich bewegen"

In einer losen Folge sprechen wir mit Gemeindepräsident:innen in der Region. Sibylle Schwegler-Messerli, Gemeindepräsidentin von Vechigen, erzählt, worüber sich die Leute bei ihr beklagen, was das Bevölkerungswachstum für die Gemeinde bedeutet und warum Zuzüger:innen aus der Stadt nicht das Ende der SVP bedeuten.

Gemeindepräsidentin Sibylle Schwegler in ihrem Büro im Gemeindehaus. Die Fotos sind Erinnerungen an Reisen mit ihrer Familie. (Bild: Anina Bundi)

BERN-OST: Sibylle Schwegler, Sie haben Ihr Amt mitten in der Coronazeit angetreten, Ihre erste Gemeindeversammlung als Gemeindepräsidentin fiel aus. Konnten Sie mittlerweile mit der Bevölkerung in Kontakt kommen?

Sibylle Schwegler: Zum Glück gibt es die Sprechstunde, die ich nur ein einziges Mal ausfallen liess. Aber ich freue mich extrem auf die Gemeindeversammlung im Dezember. Ich sehe die Versammlung auch als Feedbackrunde für den Gemeinderat, und das fehlte.

 

Mit welchen Anliegen kommen die Leute in die Sprechstunde?

Da gibt es alles: Ideen für die Veloaufbewahrung am Bahnhof, Ärger über Eltern, die ihre Kinder mit dem Auto zur Schule bringen oder über nicht korrekt entsorgte Hundesäckli, Reklamationen über oder Forderungen nach 30er-Zonen, immer wieder auch die Sorge, das Dorf könnte zu sehr wachsen. In der Sprechstunde bin ich mehrheitlich mit Kritik konfrontiert. Lob bekommen wir eher per Post, etwa von alten Vechigerinnen und Vechigern, die sich über die Geburtstagsgrüsse des Gemeinderats freuen.

 

Was machen Sie mit der Kritik? Nehmen Sie die Anliegen auf?

In erster Linie höre ich zu und erkläre, was bei einem Thema der Stand der Dinge ist, wie die Rechtslage ist und wie es allenfalls weitergeht. Damit ist meistens schon gut. Wo nötig, gebe ich Anliegen an die Verwaltung und den Gemeinderat weiter.

 

Stichwort Wachstum. In Vechigen wurde und wird viel gebaut. Wo geht diese Reise hin?

Wir sind die Gemeinde in der Region, deren Bevölkerung in den letzten fünf Jahren am meisten gewachsen ist, nämlich um mehr als 10 Prozent. Aktuell sind mit dem Diessenberg und der Überbauung Kern Boll Süd beim Bahnhof noch zwei grössere Bauprojekte in Arbeit. Weitere grosse Baufelder hat es in der Gemeinde nicht, da ist also ein Ende in Sicht. Aber das Wachstum der letzten Jahre hat natürlich für Veränderungen gesorgt.

 

Welcher Art sind die Veränderungen?

Es gibt Leute, die aus der Stadt aufs Land ziehen und dann doch alles wollen wie in der Stadt: Spielstrassen, keinen Verkehr, die Tiere auf den Bauernhöfen sollen nicht stinken. Das trifft aber alle Landgemeinden und ist kein Vechiger Problem. Die grösste Herausforderung ist, da eine Einheit herzustellen. Es braucht auch ein Entgegenkommen der Alteingesessenen. Schon immer da sein und sich nicht bewegen, das geht auch nicht.

 

Wo sollten sich denn die Alteingesessenen bewegen?

Die Gemeinde hat sich bereits bewegt. Zum Beispiel haben wir soeben die Tagesschule ausgebaut. Ausserdem haben wir in der Gemeinde viele Freizeitangebote, etwa Sport für Kinder und Jugendliche.

 

Ist die Infrastruktur von Vechigen gerüstet für die Zugezogenen und die, die noch kommen? Ist zum Beispiel genug Schulraum da?

Ja, dieses Wachstum ist mit eingerechnet. Mit dem Umbau des Schulhauses Stämpbach sind wir bereit. Ganz berechenbar sind die Kinderzahlen aber natürlich nicht. Möglicherweise braucht es auch einmal für ein oder zwei Jahrgänge zusätzliche Container.

 

Wenn alle diese Leute aus der Stadt zuziehen mit ihren städtischen, und auch "linken", Forderungen. Was bedeutet das für Ihre Partei, die SVP? Wird sie an Bedeutung verlieren?

Nicht unbedingt. Bei Volksabstimmungen entscheidet Vechigen im Allgemeinen gleich wie die Stadt Bern. Die SVP hat trotzdem keine Wähler:innen verloren. In Vechigen ist es so, dass die Partei wirklich kaum eine Rolle spielt. Mir ist egal, woher eine gute Idee kommt. Das Kollegialitätsprinzip ist mir heilig. Sowieso ist es manchmal Zufall, in welcher Partei jemand landet. Da spielen persönliche Beziehungen oft eine wichtigere Rolle als die politische Haltung. Ich glaube, von uns im Gemeinderat steht in der kantonalen oder nationalen Politik niemand zu 100 Prozent hinter seiner Partei.

 

Sie sind eine Person, die gut organisiert, energisch und eher zackig unterwegs ist. Wie halten Sie das langsame Tempo in der Politik aus?

Sie haben recht mit dem Charakter. Aber dafür habe ich ganz viel Erfahrung. Am Anfang fiel ich einige Male auf die Nase. Mittlerweile weiss ich, dass ich den Zeitplan, den ich mir wünschen würde, ungefähr verdoppeln kann. Das ist auch etwas, das ich den Leuten oft erklären muss.

 

Wie stehen Sie zur Corona-Politik des Bundes, etwa zur weitgehenden Zertifikatspflicht?

Ich und alle in meiner Familie sind schon lange geimpft. Als Gemeindepräsidentin geht es in dieser Sache aber nicht um meine persönliche Meinung. Die Gemeinde muss die Vorgaben von Bund und Kanton befolgen, und das tun wir. Meine persönliche Meinung möchte ich nicht preisgeben. Ich wünsche mir einfach, dass alles bald wieder normal wird.

 

Was hören Sie diesbezüglich aus der Bevölkerung?

Nicht alle verstehen, dass wir als Gemeinde in der Sache keinen Spielraum haben. Sie sagen etwa "tut Ihr jetzt auch noch kompliziert?" Es ist jetzt halt einfach so, wie es ist. Was mir aber aufgefallen ist: Die Leute waren sehr froh, als die Sprechstunde wieder ohne Maske möglich war. Die Erleichterung, dass man sich wieder anschauen kann, war ihnen förmlich ins Gesicht geschrieben.

 

*gemeint ist hier der Perimeter der Regionalkonferenz Bern-Mittelland RKBM


Autor:in
Anina Bundi, anina.bundi@bern-ost.ch
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Erstellt: 24.10.2021
Geändert: 25.10.2021
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