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Wasserbauplan Stettlen: Die grosse Frage nach der guten Lösung
Die Diskussion um den Wasserbauplan Worble Stettlen läuft seit zwanzig Jahren, und sie geht weiter. Der Wasserbauplan ist ein Beispiel dafür, wie komplex Gemeindegeschäfte sind. Nach über zwanzig Einsprachen laufen zurzeit die Einigungsverhandlungen beim Regierungsstatthalteramt. Ob das Geschäft im Winter zur Abstimmung kommt, ist offen.
Manchmal haben es Gemeindepräsidenten nicht einfach mit den Einwohner:innen ihrer Gemeinde – und umgekehrt. Das zeigen die Diskussionen rund um den Wasserbauplan Worble Stettle, der über ein Jahrzehnt lang entwickelt wurde. 2022 wurde er aufgelegt, nach über zwanzig Einsprachen in grossen Teilen angepasst und neu berechnet, und eigentlich sollte er im Sommer zur Abstimmung kommen. «Davon ist inzwischen nicht mehr die Rede, es wird mindestens Winter», sagt Stettlens Gemeindepräsident Christian Kaderli.
Das Problem …
Das Grundproblem ist die Worble samt ihren Zuflüssen: Bei heftigen Unwettern überschwemmt sie immer wieder mal die Gegend. Und zwar nicht nur die Felder nördlich ihres Laufs, sondern auch Wohnquartiere und die ehemalige Kartonfabrik Deisswil, also den heutigen Bernapark.
…. und seine komplexen Zusammenhänge
Ein «Wasserbauplan Worble Stettlen» soll helfen, dieses Problem in den Griff zu bekommen. «Dabei müssen aber unzählige Faktoren berücksichtig und eingeplant werden», erklärt Christian Kaderli: Wassermengen und Abflussgeschwindigkeiten, mögliche Wetterszenarien und Eintretenswahrscheinlichkeiten müssen einbezogen und bauliche Massnahmen untersucht werden. «Alles ist sehr komplex und hängt miteinander zusammen.»
Neue hydrologische Berechnungen
Im Lauf der letzten beiden Jahre liess die Gemeinde diverse Rügepunkte aus den Einsprachen neu abklären und anpassen. Und sie veranlasste neue hydrologische Berechnungen, um das Abflussverhalten im Einzugsgebiet besser zu kennen. Dieses Abflussverhalten beeinflusst die Abflussspitzen bei Starkniederschlag, und diese Zahlen wiederum müssen beim Wasserbau berücksichtigt werden. «Seit der ersten Studie von 2006 haben sich die klimatischen Verhältnisse verändert», erklärt Kaderli. «Für die Planung wollten wir wissen, mit wieviel Wasser wir heute rechnen müssen.»
Neu fast doppelt so viel Wasser
Die neue Berechnung zeigte dann tatsächlich: Die vor fast zwanzig Jahren angenommenen 22 Kubikmeter pro Sekunde genügen nicht mehr. Neu könnten unter Berücksichtigung des Klimawandels bei Starkregen einmal alle hundert Jahre auch 33 Kubikmeter pro Sekunde durch das Worblebett schiessen – um die Hälfte mehr als in der ersten Studie errechnet.
Gemeindepräsident, nicht Wasserbauspezialist
Christian Kaderli erstaunt das nicht: Genau deshalb habe man die neue Studie veranlasst. Er sei nicht vom Fach und müsse sich auf die Wasserbau-Experten verlassen. «Und auch diese, so hat man mir erklärt, können ausschliesslich mit Annahmen rechnen – im Wissen darum, dass diese Werte in der Realität höher, aber auch tiefer sein können.» Für die Gemeinde sei es wichtig, alle Informationen zusammenzutragen und am Ende für alle Beteiligten die bestmögliche Lösung zu finden.
Erklärungen leuchteten ihm ein
Die Erklärung, dass für den Wasserbauplan die Annahme «Ereignis, das durchschnittlich einmal pro Hundert Jahre eintreten kann» genüge, habe ihm eingeleuchtet: «Die Anpassungsarbeiten, wollte man ein zwei- oder gar dreihundertjähriges Ereignis mit technischen Massnahmen absichern, wären unvorstellbar gross und teuer.» Es bestehe immer ein Restrisiko, aber die Feuerwehr Stettlen verfüge über eine Notfallplanung, die auf solche Extremereignisse ausgelegt sei.
«Einfach diese Zahlen übernehmen»
Gegner Andreas Lehmann hingegen genügt diese Anpassung nicht. Er hat sich kundig gemacht und herausgefunden: «Der kantonale Gewässerrichtplan geht von einer Spitzenmenge von 54 Kubikmetern pro Sekunde aus.» So viel Wasser könnte im Fall eines Starkregens die Worble hinunterschiessen und die Umgebung überschwemmen, das ist für ihn eine Tatsache. «Ich verstehe daher nicht, warum man nicht einfach diese Zahlen übernimmt.»
Eigene Website zusammengestellt
Andreas Lehmann sagt klar, was Sache ist, und tituliert den Wasserbauplan auch schon mal als «Kasperliplan». Er hat Hintergrundinformationen zu all seinen Kritikpunkten zusammengetragen und auf seiner Webseite aufgelistet. Dort bezeichnet er den Wasserbauplan als «Wasserstauplan» und zeigt zahlreiche Bilder mit Schäden, die das Hochwasser bereits angerichtet hat. Seiner Meinung nach genügen die Anpassungen nicht.
«Erhöhte Bahnhofstrasse nützt nichts»
Erst recht ist er nicht einverstanden mit dem Plan, nach dem die Bahnhofstrasse erhöht und ein Damm aufgeschüttet werden sollte. «Dieser könnte Spitzen brechen, damit bei Hochwasser nicht alles Wasser auf einmal ins Gebiet Bernapark schiesst», hatte Gemeindepräsident Kaderli den Einsprecher:innen erklärt. Andreas Lehmann hält dagegen, dass auf Höhe Ferenbergbach schon ein natürlicher Damm bestehe. «Ein zusätzlicher Damm Höhe Bahnhofstrasse gefährdet das Quartier Ringstrasse.»
Wasserbauplan in «West» und «Ost» geteilt …
Tatsächlich, sagt Kaderli später im Gespräch, werde man die Frage, ob eine Aufschüttung und ein Damm sinnvoll seien, noch einmal genauer prüfen. Damit wegen dieser Frage nicht der ganze Wasserbauplan stillgelegt wird, beschlossen die beteiligten Gemeinden Stettlen und Ostermundigen, in Absprache mit dem kantonalen Tiefbauamt, den Plan zu splitten: Neu gibt es einen «Wasserbauplan Teil West» und einen «Wasserbauplan Teil Ost», über beide wird separat abgestimmt.
… und unabhängig behandelt
Das mache Sinn, erklärt Christian Kaderli: «Die Anpassungen im Teil West können unabhängig vom Teil Ost durchgeführt werden und lassen sämtliche Möglichkeiten offen.» Über den Wasserbauplan West, so das Ziel, soll die Bevölkerung von Stettlen und Ostermundigen noch dieses Jahr abstimmen können.
«Plan West» ist weniger umstritten …
Vorrang hat der Plan West aus zweierlei Gründen: Gegen diesen Teil waren weit weniger Einsprachen eingegangen, und diese sind offenbar einfacher zu bereinigen. Zentrale Punkte dort sind Mühlekanal und Worblekanal: Sie sollen als Hochwasserschutzmassnahme dauerhaft geöffnet bleiben. «Zusammen mit dem geplanten Umgehungsgerinne ergibt das aus heutiger Sicht einen guten Hochwasserschutz», findet Christian Kaderli nach gründlicher Prüfung.
… und soll wichtige Projekte nicht verzögern
Ausserdem, erklärt er, hängen damit wichtige Projekte zusammen. Allen voran der Doppelspurausbau des Regionalverkehrs Bern-Solothurn RBS, der den 7 ½ -Minuten-Takt bis Deisswil ermöglichen wird, aber auch die Überbauungsordnung Schwandiweg und der Ausbau des Bernaparks. «Wird der Teil West angenommen», hofft Kaderli, «können wir mit diesen Projekten plangemäss loslegen.»
Zuerst aber die Einigungsverhandlungen
Bevor allerdings irgendetwas weitergeht, finden bis in den Mai hinein beim Regierungsstatthalteramt Bern-Mittelland die Einigungsverhandlungen mit den Einsprecher:innen statt. Andreas Lehmann hat seinen Termin bereits hinter sich. Dabei hat er das Rechtsbegehren gestellt, dass keine neue Stauung entstehen dürfe, beziehungsweise «dass die bereits bestehende Stauung auf Höhe der alten Mühle aufgehoben werden muss».
«Teilung ist ein schlechter Witz»
Wasserbauingenieur Jürg Stückelberger hat ihm unter anderem erklärt, warum man im Wasserbau mit Annahmen arbeitet und welche Überlegungen sich Fachleute zu den Abflussmengen gemacht haben. Umzustimmen vermochte das Andreas Lehmann nicht, er bleibt bei seinen Punkten. Allem voran sei er schon mal gegen die Teilung in West und Ost, erklärt er tags darauf am Telefon. «Eine getrennte Planung ist ein schlechter Witz», sagt er: Man könne ja nicht zuerst einen Teil anschauen und dann merken, dass der andere Teil nicht funktioniere.
Annahmen oder Messungen?
Lehmann bleibt auch bei seinem Begehren, zwingend die 54 Kubikmeter pro Sekunde gemäss kantonalem Gewässerrichtplan einzurechnen: «Wenn schon Messungen vorhanden sind, muss man sich doch darauf abstützen!» Die Werte des Richtplans aus dem Jahr 2000, kontert Christian Kaderli, seien allerdings ebenfalls Annahmen: «Die einzige Messstelle ist in Ittigen, und diese Messungen wurden bei der neuen Berechnung der Hydrologie berücksichtigt.»
Gewässerrichtplan als Grundlage
Die Zahlen sind übrigens im 131 Seiten langen Gewässerrichtplan Worble zu finden, dort sind auch die aktualisierten hydrologischen Berechnungen abgelegt. Die Angaben in diesem Plan hat Gegner Andreas Lehmann genau gelesen, hat hunderte von Stunden recherchiert und zahlreiche Fotos und Informationen zusammengetragen. «Diese können auf meiner Webseite eingesehen werden», sagt er. Am Ende, findet er, liege die Verantwortung bei den Stimmbürger:innen: «Es muss zwischen einem Wasserstauplan mit der bestehenden Stauung oder einem Wasserbauplan ohne Stauung und mit genügendem Durchlass für ein Ereignis mit 100 Kubikmetern pro Sekunde entschieden werden.»
Annahmen bestmöglich umsetzen
Christian Kaderli auf der anderen Seite beruft sich ebenfalls auf die Informationen vonseiten des Wasserbauingenieurs. Dieser habe ihm plausibel versichert, es gebe keine andere Möglichkeit, als Annahmen zu treffen und diese bestmöglich technisch umzusetzen. Und: In einem ersten Schritt im Teil West die Durchflusskapazität zu erhöhen, nütze auch allen Betroffenen aus dem Teil Ost. «Bei Extremereignissen», hat er erklärt, «braucht es dann zusätzliche Notfallmassnahmen wie zum Beispiel die Beaver-Schläuche, die bei Überschwemmungen in der Berner Matte eingesetzt werden.»
Gute Lösung in Sicht?
Die Knacknuss «Wasserbauplan Worble in Stettlen», so viel ist klar, hat sich seit den ersten Abklärungen 2006 als äusserst zäh erwiesen. Ob sich Gemeinde und Gegner wie Andreas Lehmann bei den Einigungsverhandlungen finden, muss sich zeigen. Gemeindepräsident Christian Kaderli hofft jedenfalls, dass die Gemeinde nach zwanzig Jahren den Wasserbauplan endlich «zu Boden bringen» kann, denn: «Kein Wasserbauplan ist keine Option.»
Erstellt:
09.04.2025
Geändert: 09.04.2025
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